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1. B.Rideli.
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des nach Oefterreich importirten genarbten, gefchmierten und lackirten Wagen-
verdeck-Leders aus öfterreichifch-ungarifchen Rindshäuten mit öfterreichifchen
Gerbeftoffen im Auslande fabricirt zu werden pflegt, eine gewifs beifpiellofe
Anomalie dar.
In den letzteren Jahrenhaben zwar einige öfterreichifche Lederfabrikanten
der vaterländifchen Lederinduftrie im Aligemeinen mit Hilfe des Affociations-
wefens einen ungeahnten Auffchwung geben wollen und auch das grofse Publi-
cum als Theilnehmer an derlei Unternehmungen zu mitunter hohen Emiffionscurfen
der Antheilfcheine herangezogen, während die früheren Lederfabrikseigenthümer
fich mit Vorliebe den legislatorifchen Arbeiten und auch der diplomatifchen Lauf-
bahn zu widmen begannen.
DiefeVeränderungen haben aber bis jetzt gar keinen irgendwie fichtbaren gün-
ftigen Einflufs auf die Fortfchritte der öfterreichifchen Lederinduftrie ausgeübt, es
fteht vielmehr zu befürchten, dafs nach wie vor keine einzige „Vache ä& capote*
im Inlande fertig gebracht wird und in Folge deffen die öfterreichifchen Wagen-
fabrikanten exportunfähig werden bleiben müffen.
Noch trauriger geftaltet fich die Situation der öfterreichifchen Wagenbauer
imVergleiche zuihren ausländifchenConcurrenten mit Bezug auf die Eifen- und Stahl-
beftandtheile, welche ungefähr 50 Percent des Eigengewichtes einesjeden Wagens
ausmachen und nothwendigerweife einen grofsen Einflufs auf den Preis, fomit auf
die Concurrenzfähigkeit der in Oefterreich fabricirten Fuhrwerke ausüben
müffen.
Da unter Vorausfetzung einer vollkommen gleichen Qualität die vom Aus-
lande bezogenen Achfen, Wagenfedern u.-f. w., trotz des Eingangszolles, der
Transportkoften und des Agio, in Wien noch immer billiger als die correfpon-
direnden inländifchen Fabricate zu ftehen kommen, fo repräfentirt die beim An-
kaufe der Eifen- und Stahlbeftandtheile refultirende Preisdifferenz zu Gunften des
ausländifchen Wagen- und Mafchinenbauers einen derartigen Vortheil, dafs dadurch
allein die öfterreichifchen Wagenfabricate in ihrer Concurrenzfähigkeit beeinträch-
tigt werden mülffen.
Der von denöfterreichifchen Eifenwerken bei diefem und injedemähnlichen
Falle ohne Unterlafs geltend gemachte Einwand, dafs die weit beffere Qualität
ihrer Produdte diefe Preisdifferenz aufzuwiegen geeignet fei, kann nicht immer
ernft genommen werden, da ja die deutfchen und englifchen Eifenwerke je nach
Wunfch und Bedarf ein gleich gutes Rohmaterial zur Verfügung haben, aber durch
eine beffere Behandlung beim Raffiniren die Qualität desfelben mindeftens auf
gleicher Stufe, den Preis jedoch bedeutend niedriger halten können.
Ueberdiefs erhellt aus officiellen ftatiftifchen Daten, dafs in Folge Unzu-
länglichkeit der einheimifchen Hochofenunternehmungen beifpielsweife die nach
Oefterreich-Ungarn im Jahre 1867 ftattgefundene Roheifeneinfuhr im Gewichte
von 294.035 Zollcentnern fich bereits im Jahre 1872 auf 4,381.570 Zollcentner er-
höht hatte, ohne dafs durch die angeblich geringere Qualität, mithin gröfsere
Billigkeit ein entfprechender Nachlafs im Preife der daraus fabricirten Producte
eingetreten wäre, die öfterreichifchen Confumenten vielmehr mit einem nicht
unbedeutenden Preisauffchlage bedacht worden find.
Gegenwärtig ift es unzweifelhaft, dafs die öfterreichifch-ungarifche Eifen-
Induftrie, namentlich der auf Actien gegründete überwiegende Theil derielben
durch die andauernde Finanz- und Handelskrifis ungewöhnlich hart betroffen
wird. Es ift jedoch auch ganz allgemein bekannt, dafs, da derartige Actiengefell-
fchaften trotz der letztverfloffenen, für die Eifeninduftrie fo aufserordentlich gün-
ftigen Gefchäftsjahre, deren Wiederkehr leider zur Unmöglichkeit gehört, ihrnomi-
nell unverhältnifsmäfsig hohes Anlagecapital bis jetztin denmeiften Fällen nur durch
Angriff der Refervebeftände, nachträgliche Einzahlungen oder gar durch Emiffion
neuer Schuldtitel zu verzinfen im Stande waren, die Annahme der Möglichkeit
ihrer zukünftigen Profperität aus guten Gründen beftritten werden mufs.