162 II. Vorarbeiten.
doch die Conception einer Bahnanlage heute weit schwieriger, als
ehedem, weil der Absolutismus des einzelnen Schienenweges ver-
loren gegangen ist, und wir uns vielmehrinmitten des Wogengetriebes
der Coneurrenz, also der Freiheit der Gedanken befinden.
Unter den drei Factoren aber, welche das Werden und das
Leben einer Eisenbahn bedingen, nämlich unter den Factoren der
geistigen Schaffung der Linie, der materiellen Ausführung der-
selben, und des Betriebes des Schienenweges, spielt der erste
Factor, „die Conception des neuen Verkehrsweges“, die Hauptrolle.
Mehr als gerechtfertigetwird bei vielen Eisenbahnen, welche
nieht prosperiren, die unrichtige materielle Schaffung und Betrei-
bung der Linie betont, während oft der ursprüngliche, geistige
Gedanke die Krankheit des Seins schuf. Die Conception aber lässt
sich niemals direct lehren, sie ist ein Kind höherer Sphäre, ent-
rückt der Rohheit der Materie und lebensunfähig in dem Zwange
menschlicher Leidenschaft, und die rohe Energie und das brüske
Wollen genügt nicht, einer verfehlten Idee Leben einzuhauchen.
Die Lockspeise unserer Eisenbahnprogramme ist auch that-
sächlich in unseren Tagen schon derartig versalzen, dass wir sie
im Allgemeinen nur mit grosser Vorsicht berühren, den vorgeführ-
ten Ziffern im voraus abhold sind und schon ein Unbehagen fühlen,
wenn uns das übliche Stichwort „Weltbahn“ vorgeführt wird.
Indess darf diese wirthschaftliche Krankheit unserer Zeit uns
nicht betäuben; denn Betrachtungen, wie wir sie früher schon vor-
geführt haben, weisen mit Nachdruck darauf hin, dass das Ver-
kehrsmittel der Eisenbahnen noch lange nicht erschöpft ist, dass
grosse Aufgaben unser noch harren, und dass wir dureh die Unbill
der Zeit einfach nur genöthiget werden, unsere geistige Vorarbeit
eines Schienenweges möglichst zu verfeinern.
Diese Sätze gelten nicht allein fürdas einzelne Land und
für das einzelne Reich, denn in jeder Provinz und in jedem Staate
gilt es noch, die Schienenlücken auszufüllen, die unser materielles
und unser geistiges Wohl tief empfindet, sondern sie gelten auch
in kosmopolitischem Sinne.
Und in diesem letzteren Sinne hat uns die Wiener Weltaus-
stellung verschiedene Objeete zur Betrachtung geboten, von denen
wir die folgenden hervorheben wollen.