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673 Anleihen
beruhen auf dem bloßen Kredit, und die Anlehen dex hinſichtlich ihrer
Sicherheit zweifelhaften Staaten find durch beſondere Garantien ges
währleiſtet. Der Kredit fett fich, wie bemerkt, aus zwei Faktoren zu-
ſammen: aus der Fähigkeit, ſeine Verbindlichkeiten zu erfüllen, und
aus dem guten Willen. Die Fähigkeit eines Privaten hängt zunächſt
von deſſen Vermögen ab, nicht ſo bei einem Staate; der Fall kommt
nicht ſelten vor, daß ein Staat, nah Abzug ſeiner Schulden, aktives
Vermögen gar nicht beſißt u. dennoch für durchaus fähig erachtet wer-
den muß, feinen Verbindlichfeiten gerecht zu werden. Der Grund
liegt darin, daß der Staat ſeine Einnahmequellen meiſt nicht aus ſei-
nem Vermögen {<öpf\t, ſondern weſentlich aus den Steuern der Staats-
angehörigen. Was den zweiten Faktor des Kredits, den guten Willen,
betrifft ſo kann dem Mangel deſſelben bei Privatſchuldnern nöthigen-
fall3 gerichtlich nachgeholfen werden; einem Staate gegenüber fehlt
dieſes Hülfsmittel, u. im Falle einer Unwillfährigkeit deſſelben bleibt
nihts übrig , als daß man ihm für die Zukunft die Entziehung des
Kredits in Ausſicht ſtellt, eine Drohung, die allerdings nicht ſelten
darum nichts fruchtet, weil die betreffenden Regierungen entweder zu
dieſem Schritte ſich entſchließen, nachdem ſie dur ihre Mißwirthſchaſt
vollſtändig kreditlos geworden ſind (z. B. Tunis), oder gar nicht
beabfichtigen, jobald wieder an den Geldmarkt zu appelliven (wie
Oeſterreich). Das Beiſpiel der Türkei u. Aegyptens zeigt, daß ſelbſt
in ihrer Finanzwirthſchaft ſehr verkommen daſtehende Regierungen
es meiſt vorziehen, ihre Schulden, ſo lange ſie nur geborgt bekom-
men, zu bezahlen. — Schon oben wurde erwähnt, daß der Staat
ſeine Einnahmequellen hauptſächli<h aus den Steuern feiner Unter:
thanen jhöpft. Die Steuerfraft eines Staates ift wejentlich bedingt
dur die Vermögens- und Ermwerbsverhältniffe der Steuerzahlenden,
verglichen mit den zu befriedigenden Staatsbedürfniffen. Auch die
politiſche Einrichtung eines Staates kommt beim Kredit deſſelben
weſentlih in Betracht. Abgeſehen davon, daß in Staaten, deren
Verfaſſung eine Mitwirkung der Steuerpflichtigen bei Feſtſtellung der
Staatsbedürfniſſe u. f. w. bedingt, Die Steuerlaft erfahrungsmäßig
leichter und williger getragen wird, kommt noch dazu, daß die ſtän-
diſche Kontrole einen ſicheren Einblick in die Finanzzuſtände und eine
Vürgſchaft für die pünktliche Einhaltung der übernommenen Ver-
bindlichfeiten gewährt, melche auf den Staatskredit ſehr {förderlich
einwirkt und in abſolut regierten Staaten nux zu oft vermißt wird
(3. B. in Rußland). Auch iſ die Sicherheit von Anlehen, welche
unter Billigung der geſezmäßigen Vertreter abgeſchloſſen werden,
eine größere, als wo dies niht der Fall. — Wir können uns hier
niht auf die Erörterung der Nüßlichkeit oder Verwerſlichkeit von
Staatsanleihen unter gewiſſen Verhältniſſen einlaſſen. Diejenigen
für unzweifelhaft produktive Zwe>e, wie für Eiſenbahnen, ſind ſchon
dur ſich ſelbſt gerechtfertigt. Außerdem giebt es der Fälle genug, wo
Staatsanleihen nicht zu umgehen ſind, wie z. B. Abwehr eines feindl.
Angriffs. Freilich geſtaltet ſich die Sache ſhon fchfimmer, falls vom
Beſiegten kein Erſa zu hoffen. Der Kredit eines Staates drückt fich
naturgemäß in dem Preiſe àus, zu welchem er Geld geborgt erhält,
alſo in dem Zins, den er für das erhaltene Darlehn zahlen muß.
England einerſeits und die Türkei andrerſeits bilden in Europa die
Grenzpunkte der ab- und aufſteigenden Skala. — Zwei Wege ſtehen
einem Staate offen, wenn er ein Anlehen machen will : Entweder er
ſhließt einen Vertrag mit Bankiexs oder einem Geldinſtitute ab,
u, dieſe zahlen ihm die Summe gegen Aushändigung der betreffenden
Schulddokumente (Staats \<uld \< eine), welche ſie ihrerſeits wie-
der auf eigene Re<hnung entweder dur ausgeſchriebene öffentliche
Subſkription (wie gewöhnlich) od. unter der Hand (was aber nur
bei kleineren Summen der Fall iſt) an den Mann zu bringen ſuchen.
Oder der Staat ſelbſt ſchreibt die Bedingungen aus, zu welchen er
Geld borgen will, und erwartet dann die Anträge der Kapitaliſten.
Zwiſchen der verſchriebenen und der wirklichen Darlehnsfumme findet
meiſtens eine mehr oder minder bedeutende Verſchiedenheit ſtatt.
Kann z. B. ein Staat nur Geld zu 7%, geborgt befommen, jo ar-
tangirt er fich derart, daß er 5°/, ausbedingt, aber für je 100 Thaler
Orbis pictus, I,
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Änleite 674
der Schuldverfchreibung nur ca. 72 Thlr. erhält. — Neben der Höhe
des Zinſes kommt die Zeit in Betracht, zu welcher die Zinszahlung
erfolgt. Dabei iſt auch der Fall in Betracht zu ziehen, daß die Zinſen
niht in verſchiedenen periodiſchen Friſten bezahlt, ſondern aufgeſpart
und an einem Schlußtermin zugleih mit dem Darlehn zurückgezahlt
werden. Die Darleiher erhalten dann für die Entbehrung der Zinſen
während einer langen Reihe von Jahren gewiſſe Vortheile zugeſichert,
welche dur< Verloſung unter denſelben vertheilt zu werden pflegen.
E38 find dies dietotterieanlehen, wo zur Entfhädigung für ihren
Zinſenverluſt aus dem Fonds der aufgelaufenen Zinſeszinſen be-
ſtimmte Gewinne, Prämien, mittels einer Lotterie unter den
Gläubigern ausgeloſt werden. Ein Kapital von 100, zu 4%/, ver:
zinslich, welches na< 20 Jahren mit den aufgelaufenen Zinſen zu-
rü>gezahlt werden ſoll, wächſt auf 180 an. Die erſparten Zinſes-
zinſen betragen 39. Dieſe Zinſeszinſen ſind e3, welche den Fonds
für die auszuloſenden Gewinne bilden. Es kommen auch Anlchen
vor, welche aus gewöhnlichen Anlehen u. Lotterieanlehen zuſam-
mengeſeßt find u. die man deshalb gemiſchte Anleihen nennen
darf. Dieſe tragen nicht nur feſte Zinſen, ſondern find rücfichtlich
des überſchießenden Theils der Zinſen in die Form eines Lotterie-
anlehens gebracht; doch pflegen die feſten Zinſen niedrig beſtimmt zu
ſein, um den Ueberſchuß zu den Ausloſungen verwenden zu können.
— Bei Staatsanlehen iſt das Kündigungsrecht des Darleihers faft
ſtets ausgeſchloſſen, da dur< plößlih verlangte Rückzahlung ihrer
Anlehen die Staaten in große Bedrängniß gerathen würden. Jn
den Staatsſchuldverſchreibungen iſt entweder feſtgeſeßt, daß die Rük-
zahlung des Darlehn3 zu einer beſtimmten Zeit ſtattfinden ſolle; oder
e3 iſt direkt oder indirekt die Befugniß des Darleihers zur Rückforde-
rung au3geſchloſſen. Dagegen behält ſih der Staat gewöhnlich ftill-
ſ{<weigend vor (vorausgeſeßt, daß er dieſem Recht für eine beſtimmte
Zeit nicht ausdrüclich entjagt hat), falls es ihm konvenirt, d. h. wenn
er Geld zu billigerem Zins geliehen bekommen kann, die mit höherem
Zins ausgeſtatteten Anlehen, wenn, es nicht Lotterieänlehen find, zu
fündigen u. zurüdzuzahlen. Durd Ausſchließung des Rückforde-
rungsrechts erhält ein Darlehn die Eigenſchaft eines Rentenkaufs.
Der Staat verpflichtet ſich dabei, gegen Zahlung einer gewiſſen Summe
eine immerwährende jährliche Rente zu gewähren. Gewöhnlich wird
ein benannter Gläubiger in das große Buch der Staatzichuld ein-
getragen u. erhält eine Anweiſung auf eine beſtimmte Rente. Zur
größeren Bequemlichkeit der auswärtigen Staatsgläubiger werden
indeß auch ſtatt der Rentenanweiſung wirkliche Obligationen mit
Coupons ausgegeben. Jn dieſer Form ſind z. B. die franzöſiſchen u.
engliſchen Staatsanleihen kreirt. Oeſterreich hat in neueſter Zeit be-
Fanntlich gleichfall3 einen großen Theil feiner Staatsihuld in eine
Rentenſhuld umgewandelt, obgleich gegen den Willen feiner Gläu- .
biger. Jn Preußen ſind für einen Theil feiner Anleihen ähnliche
Transaktionen im Gange.
Was die Nüczahlung oder Tilgung der Anlehen betrifft, ſo kann
dieſelbe entweder dadurch erfolgen, daß die zurüczugahlenden Stüdfe
durch das Loos beſtimmt oder daß dieſelben an der Börſe aufgekauft
werden, was im Jntereſſe des Staates liegt, wenn ſie unter dem
Nennwerthe im Preiſe ſtehen, weil ex auf ſolche Weiſe eine mehr oder
weniger erhebliche Summe erſpart. (Siehe Weiteres unter „Staats-
{ulden“.) — Was von Staatsanleihen geſagt worden, gilt auch von
Anleihen von Korporationen und Geſellſchaften aller Art. Bei An-
leihen “induſtrieller Jnſtitute, z. B. Eiſenbahnen, dienen dieſe ſelbſt
mit ihrem geſammten Juventar und ihren Einnahmen al3 Unter-
pfand. — Indeß fehlt es bei keiner Sorte von Anleihen, ſtaatlichen
‘oder induſtriellen, an Beiſpielen, wo die Gläubiger ihre Forderun-
gen ganz oder theilweiſe einbüßten.
Anleite, eine dem ältern deutſchen Rechte angehörige Bezeich-
nung. War in einem Civilprozeß, in welhem über das Eigenthum
an einem Gute geſtritten wurde, der Beklagte unterlegen , ſo konnte
der Kläger von dem Richter die Einweiſung in den Beſiß der Sache
verlangen. Der richterliche Beſcheid, dur<h welchen dies geſchah, hieß
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