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Jn vielen Fällen wird es rathſamer ſein, ſi bei dem ergangenen
erſten Urtheile zu beruhigen, als wiederholt die Gefahr eines mög-
lichen Prozeßverluſtes u. der hiermit verknüpften neuen Opfer an
Zeit, Geld u. Mühe zu wagen. Bei Streitfachen von fehr gering:
fügigem Werth (meiſt Bagatellfachen genannt) ijt ohnehin im ges
meinen deutſchen Rechte ſeit dem 16. Jahrh. u. gegenwärtig in vielen
deutſchen Einzelſtaaten die eigentliche A. geſeblih ausgeſchloſſen u.
dafür nur in gewiſſen Fällen eine einfache Beſchwerde beim höheren
Richter in Form des „Rekurſes“ (\. d.) zuläſſig; ſolche Sachen ſind,
wie man ſagt, nicht appellabel. Der geringſte Werth einer Streit:
ſache für die Zuläſſigkeit der A., d. i. die ſogenannte Appellations-
ſumme, iſt in den einzelnen Ländern zu verſchiedenen Zeiten ſehr
ihwankend gewefen, in neuerer Zeit aber meiſt auf den Betrag von
30 bis 50 Thlrnu. feſtgeſtellt worden; außerdem bleibt die A. im-
mer zuläſſig, wenn der Gegenſtand nach Geld unſchäßhbar iſt, wohin
Rechte, Befugniſſe, z. B. auch ſolche Grundgerechtigkeiten gehören,
die einen na Gelde niht zu veranſchlagenden Ertrag gewähren u.
offenbar nicht zu unbedeutend ſind. Bei Berechnung der Appella-
tionsfumme wird gewöhnlich das gefammte Intereffe, welches für
die appellivende Partei in Frage ſteht, in Betracht gezogen , 3. B.
bei einer Wechſelſahe der miteingeklagte Betrag der Proteſtkoſten
zur Wechfelforderung jelbit hinzugerechnet, beim Prozeß aus einem
Kaufgeſchäft die volle Summe des verlangten Kaufpreiſes angenom-
men, bei wiederkehrenden immerwährenden Nußungen deren Kapi-
talswerth nah einem gewiſſen Prozentſaßze (z. B. in Preußen nah
4%, alſo der fünfundzwanzigfache Werth einer einzelnen Nußung)
in Rechnung geftellt, wobei man etwaige Rückſtände ſtets zuſammen
u. dem ſtreitigen Kapitalwerthe der Nußungen ſelbſt hinzurehnet.
Doch geht von der nah ſolchen Grundſäßen zu berehnenden Appel-
(ationzfumme natürlich dasjenige ab, was von der urjprünglichen
Klageſache zur Zeit der Einlegung des Nehtsmittels unter den prozeß-
führenden Parteien etwa nicht mehr ſtreitig iſt. — Was das Ver-
fahren bei der A. betrifft, ſo hat zunächſt diejenige Partei , welche
das Nechtsmittel einlegen will, dieſe Abſicht dem Richter binnen
einer beſtimmten Friſt, welche von Bekanntmachung des erſtrichter-
lichen Urtheiles an läuft, kund zu thun. Dieſe entſcheidende Friſt
für die An meldung der A., welche bei dem Gerichte erſter Inſtanz
mündli< zu Protokoll od. au<h dur eine ſriftlihe Eingabe (die
gewöhnlich ein Rechtsanwalt nicht zu unterzeichnen braucht) erfolgen
kann, iſt nicht nur in den einzelnen Ländern eine verſchiedene (bald
schn Tage, bald, wie in Preußen, 42 Tage), ſondern auch in ſoge-
nannten ſ{hleunigen Sachen (wie Wechſelprozeſſen, Bauſachen u. |. w.)
eine viel kürzere als im gewöhnlihen Prozeß. Wird dieſe Friſt,
welche nur in gewiſſen Fällen verlängert werden kann, aber ver-
ſäumt, fo erlangt das erftrichterliche Urtheil Rechtskraſt u. eine
weitere Verfolgung der Prozeßſache im Appellationswege bleibt aus-
geſchloſſen. Nah Anmeldung der A. u. deren Genehmigung von
Seiten des Obergerichtes hat die appellirende Partei, der Appellant,
zunächit binnen einer gerichtlich vorgeſchriebenen Friſt durch eine jo:
genannte (vom Nechtsanwalt mit zu unterzeihnende) Einführung3:
{rift die A. zu rechtfertigen, d. h. alle thatjächlichen wie rechtlichen
Gründe für die Beſhwerden gegen das erſte Urtheil darzulegen.
Gleichwie hierbei der Appellant neue Thatjachen u. Beweismittel
zur Rechtfertigung ſeiner Beſchwerden vorbringen darf, jo ſteht es
auch der Gegenpartei, dem Appellaten, frei, in der Beantwortungss
{rift neue Umſtände hervorzuheben, welche dazu dienen können,
die Beſchwerden des Appellanten zu widerlegen u. den angegrifſenen
Richterſpruch zu unterſtühen. Später darf in der Regel von beiden
Parteien Neues nicht mehr angebracht werden, vielmehr wird mit
der Beantwortungsichrift des Appellaten fogleich der Schriftwechſel
zwiſchen den Parteien geſchloſſen u. dann in den meiſten Ländern ein
Termin zur mündlichen Verhandlung der Sache unter Vorladung
der Parteien (bez. ihrer re<tsverſtändigen Stellvertreter) anberaumt.
Das Verfahren hierbei iſt der Verhandlung in erſter Jnſtanz im
809 Appellation >
Allgemeinen gleich (\. „Prozeß“);z das dann erfolgende Urtheil weiſt
Appellationsgerihte — Appellativum 810
den Appellanten entweder mit feinen Anfprüchen ab u. beſtätigt das
erſtrichterliche Erkenntniß, od. leßteres wird, ſei es ganz, ſei es nur
in einzelnen Punkten, abgeändert, d. i. „reformirt”. Gegen das
Urtheil des Appellationsgerichtes kann nun entweder in wichtigeren
Sachen u. ſoweit die beiden bisherigen Erkenntniſſe von einander
abweichen, eine no<malige A. (häufig die „Reviſion“ genannt, |. d.)
bei dem Oberappellation3gericht (bez. Obertribunal) des Landes, in
Handelsſachen innerhalb des „Norddeutſchen Bundes * bei dem
Bundesoberhandelsgericht zu Leipzig CI. d.), angemeldet, dd. es
kann bei vorgefallenen Formfehlern, wie bei unrichtiger Anwendung
eines Nehtsgrundfates ſeitens der früheren Richter, die ſogenannte
Rihtigkeitäbefhwerde (j.d.) bei dem zuſtändigen höchſten
Gerichtshofe eingelegt werden. Lebtere ift in Kriminalſachen ges
wöhnlich das einzige Rehtsmittel gegen die in zweiter od. der Appel-
lationsinſtanz erfolgte Entſcheidung od. gegen Erkenntniſſe, die
unter Mitwirkung von Geſchwornen ergangen ſind. Man ſehe hier-
über die Artikel „Strafverfahren“ u. „Geſchwornengerichte“® u. ver-
gleiche wegen der A. überhaupt noch die Artikel „ Juſtanzenzug “,
„Leuterung“ u. „Rechtsmittel“.
Appellationsgerichte, die Gerichte zweiter u. dritter Juſtanz, an
welche die Berufungen gegen Erkenntniſſe der niedern Gerichte ge-
bracht werden. Die erſte Einrichtung von höheren u. höchſten Ge-
richten fowie die Einführung eines geregelten Jnſtanzenzuges über-
haupt (\. „Appellation“) kommt im alten Nom unter den Kaiſern
vor. In Deutſchland erfolgte ſie in geordneter Weiſe nicht eher als
mit Errichtung des Neichskammergerichts, das neben dem „Reichshof:
rath“ im J. 1495 unter Kaiſer Maximilian I. als höchſter Gerichts:
hof für das ganze Reich beſtellt wurde. Doch ſuchten ſi verſchie-
dene Landesfürſten u. Reichsſtände von dem Zwange der dadurch
begründeten Gerichtsverfaſſung mittels ausdrücklicher Privilegien,
die ſie vom Kaiſer ſi< erwirkten (ſogenannte privilegia de non
appellando), zu befreien, indem ſie dafür theils eigene Obergerichte
(z. B. in Celle, Wi3mar) beſtellten, theils die Aktenverſendung (|. d.)
an Spruchkollegien einführten. Nach Gründung des deutſchen Bun-
des im J. 1815 ſollte zufolge Artikel 12 der deutſchen Bundes-Akte
jeder Bundesſtaat mit 300,000 Einw. drei Inſtanzen haben, ſo
daß alſo gegen ein Urtheil erſter Jnſtanz die zweite u. gegen deren
Erkenntniß wiederum die dritte Juſtanz (das Dberappellationd= od.
Oberhofgericht) angegangen werden könne; kleinere Staaten ſollten
ſi zur Bildung von oberſten Gericht8höfen vereinigen. Dergl. höchſte
Gerichtshöfe ſind z. B. in Lübe>, Wolfenbüttel u. a. a. D. errid):
tet, während die größeren deutſchen Staaten, wie Preußen, Bayern,
Sachſen u. ſt.w., neben einer Reihe von Appellationsgerichten zweiter
Jnſtanz auch einen oberſten Gerichtshof unter verſchiedenen Namen
(Obertribunal, Oberappellationsgeriht u. |. w.) befiten. In Preus
ßen ſtehen die zahlreichen A. zweiter Inftanz, welche früher den Nas
men Oberlandesgerichte führten, jest unter einem einzigen gemein-
ſchaftlichen oberſten Gerichtshof, dem ſogenannten Obertribunal zu
Berlin (früher vor Einführung des öffentlichen Verfahrens noh
Geheimes Obertribunal genannt). Bis Ende 1848 gab es in Preu-
ßen aud) ein beſonderes Oberappellationsgeriht für Neuvorpom-
mern, u. bis Ende 1852 beſtand noch der „Rheiniſche Reviſions - u.
Kaſſationshof“ als ein ſelbſtändiges Obergericht. Erſteres wurde
aber mit dem J. 1849 aufgehoben u. leßterer ſeit dem J. 1853 mit
dem Obertribunal vereinigt, welchem die Ausübung der Gerichts-
barkeit , die das rheiniſche Recht dem oberſten Gerichtshofe beilegt,
dur einen beſonderen Senat im März 1853 überwieſen wurde.
Einige preußiſche A. zweiter Inſtanz führen, beziehentlich führten
beſondere Namen, z. B. das Kammergericht in Berlin u. das Tribu-
nal in Königsberg.
Appellativum (lat.), der Name einer Gattung, Gattungsname,
wie 3. B. Baum, Frucht, Thier, Getreide, Stern. Ihm entgegen-
geſetzt iſt das Nomen proprium , der Eigenname, der bei jenen
als Beiſpiel angeführten Worten dur< Birke, Apfel, Tiger, Hafer,
Sirius 2c. bezeichnet werden könnte.