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879 Arbeit u. Arbeiter
da, wo die Stüklohmung anwendbar, die Zeitlohnung wählen wollten,
würden das beiderſeitige Jutereſſe vollſtändig verkennen. Jn dieſem Falle
demoraliſirt die Zeitlohnung beide: die Arbeitgeber macht ſie mißtrauiſch, den
Arbeitnehmer mißmuthig, unzufrieden u. träge; ſie nöthigt zu einer Auf-
ſicht, welche neben der Qualität auch die Quantität der Leiſtung ins Auge
faſſen muß, ſtellt den Arbeiter unter das Joh der Sklaverei uU. verleitet
den Arbeitgeber zu einer ganz falſchen Stellung, ſeinen Gehülfen gegenüber.
Zwar hat nun der Arbeiter lediglich auf vollſtändige Entſchädigung für die
geleiſtete Arbeit mit Berückſichtigung ſeiner unproduktiven Lebensperioden
Anſpruch, allein mit Recht machte ſchon in den dreißiger Jahren der eng-
liſche Mathematiker Babbage (\. d.) darauf aufmerkſam, von welcher Wichtigkeit
es ſein würde, „wenn in jedem großen Etabliſſement die darin thätigen
Perſonen ſo bezahlt werden könnten, daß ein Jeder aus dem Gewinne des
Ganzen Nuten zöge u. das Einkommen der Einzelnen mit dem des Un-
ternehmens wüchſe, ohne daß es deshalb nöthig wäre, die Höhe der Ar-
beitslöhne zu modifiziren.“ Da jedoch das reine Tantièmeſyſtem in
der Großinduſtrie niht anwendbar iſt, ſo führte 1842 der Pariſer Stuben-
maler Leclaire, der es ſi< lange Zeit vergeblich hatte angelegen ſein laſſen,
freundliche Beziehungen zu ſeinen Arbeitern herzuſtellen u. ihre Arbeitsluſt
zu vermehren, das ſogenannte Kommiſſionsſyſtem ein. Dies beſteht
darin, daß der Unternehmer ſeinen Arbeitern im Laufe des Jahres die in
ähnlichen Unternehmungen allgemein üblichen Arbeitslöhne zahlt, dieſe Löhne
unter den Koſten verrechnet u. die Arbeiter noch Überdies mit vertrags-
mäßig feſtgeſeßten Raten an dem aus der Jahresre<hnung ſich ergebenden
Keingewinn betheiligt, u. zwar je nach der Höhe der von den Einzelnen
bereits im Laufe des Jahres verdienten ordentlichen Löhne. So ſehr nun
auh die Erfolge dieſes Syſtems den genannten Unternehmer zufricden-
ſtellten, u. ſo wünſchenswerth «8 auch wäre, weitere Verſuche damit anzu-
ſtellen, ſo hat es doh den Fehler, daß es unter Umſtänden den Arbeitern
eine Lohnzulage aus einem Theile des Reinertrags gewährt, zu deſſen
Schaffung od. Vermehrung ſie gar nichts beigetragen, z. B. in dem Falle,
daß ſi<h der Unternehmer unter Benubung einer günſtigen Konjunktur
noh für ein ganzes Jahr mit billigen Roh- u. Hülfsſtofſen verſehen hatte.
Andrerſeits freilich kann es für“ jede induſtrielle Unternehmung nur vor-
theilhaft ſein, wenn den Arbeitenden neben dem richtig bemeſſenen Arbeits-
ſohn auch ein gerechter Anſpruch auf einen Theil des Kapital-
gewinnes verſchafft wird. Dann bringt es ihr unmittelbares Intereſſe
mit fih, daß fie nicht nur fleißig u. gewiſſenhaft arbeiten, alſo auch die
Arbeit nicht einſtellen (keine „Strikes“ machen), ſowie mit dem Material
haushälteriſh umgehen, ſondern daß auch jeder Einzelne ein ſcharfes Augen-
merk auf feine Arbeitsgenoſſen richtet u. ſie zu allen Tugenden eines tüch-
tigen Arbeiters anhält; das Auge des Herrn kann nicht überall ſein, wo
aber das Kapital die A. an ſeinem Gewinn betheiligt, da wird aus jedem
Arbeiter ein Theilhaber des Unternehmens, u. übernimmt jeder aus eigenem
Antriebe die Nolle eines Herrn, denn ein Jeder weiß, daß die zwiſchen ihm
u. ſeinen Genoſſen zu vertheilende Extraſumme von der Art u. Weiſe ab-
hängt; wie er und fie arbeiten. Einen gerechten Anſpruch auf Antheil am
Kapitalgewinn kann aber nur der haben, welcher am Kapital ſelbſt be-
theiligt iſt. Und dieſes Prinzip finden wir in dem Syſtem der in Deutſch-
(and noch vielfach bekämpften, weil -falſh verſtandenen, „Industrial
Partnership“ od. der aftionären Genoſſenſchaft zwiſchen den
Unternehmern u. Arbeitern zur Geltung gebracht, mit dem vor einigen
Fahren in England die erſten Verſuche gemacht worden ſind. Dabei ſchlugen
die Unternehmer folgendes Verfahren ein: ſie ermittelten den Preis, zu
welchem ihnen ihr ganzes Unternehmen zu Buche ſtand, u. betrachteten dieſe
Summe als ein Aktienkapital, welches nun in eine [entſprechende Anzahl
von kleinen Antheilen zerlegt wurde; ‚einen geringeren Theil des ganzen
Kapitals beſtimmten ſie zur Verwerthung an Arbeiter, Angeſtellte, feſte Kun-
den ihres Unternehmens', den größeren Theil behielten ſie für ſich; ebenſo
ſicherten ſie ſih den größten Antheil an der Verwaltung, an der aber auch
die Übrigen Aktionäre entſprechend betheiligt wurden; den Arbeitern blieb
es überlaſſen, wenn ſie Aktien erwerben, alſo Miteigenthümer des Unter:
nehmens werden wollten, die nöthigen Einzahlungen allmählig, in kleinen
Raten, zu machen ; ſie bezogen im Laufe des Jahres den üblichen Lohn u.
partizipirten am Jahresſ{luſſe nah Maßgabe ihres Aktienbeſißes am Ge-
winn od. Verluſt dex Unternehmung. Außerdem aber beſtimniten auch hierbei
die Unternehmer, daß, ſobald der Reingewinn, nah Abzug der für Kapital-
verzinſung 2c. nöthigen Summe, mehr als 10 Proz. des Anlagekapitals be-
trage, die Hälfte des Ueberſchuſſes unter die Beamten u. Arbeiter als Grati-
fikation nah Prozentſäßen ihres Verdienſtes in dem betr. Jahre vertheilt
werden ſollte. Dieſes Syſtems hat fih in einigen Kohlengruben u. bei den
fliegenden Buchhändlern Englands jo gut wie in man<hm Großuntierneh-
men bei den wandelbaren Franzoſen, glänzend bewährt. Um ſo mehr
muß man bedauern, daß es nicht allſeitig anwendbar iſt. Nach dem eng-
liſchen National - Oekonomen W. Th. Thornton (ſ. deſſen Werk „Die
Arbeit u, f. w.”, deutjch von Dr. H. Schramm. Leipzig 1870) läßt ſich
die „Industrial Partnership“ nur da anwenden, wo das Verhältniß
der Arbeitskoſten zu den geſammten Produktionskoſten ſehr beträchtlich iſt,
alſo nicht z. B. bei den Diamantſchneidern. Außerdem müſſen die betreffen-
den Unternehmungen ſehr ſicher fundirt ſein, eine große Gleichmäßigkeit
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des Betriebs u. Abſabes haben u. eine große Zahl ſeßhafter Arbeiter
beſchäftigen. Dies Lebtere bringt uns auf die Wohnungsverhält-
niſſe, welche für das leibliche u. ſittliche Wohl aller Klaſſen der Ber
völkerung maßgebend find, u. denen daher auh der Unternehmer die
größte Aufmerkſamkeit widmen muß. Hier find vor Allem zwei Fälle zu
unterſcheiden: entweder hat der Unternehmer erſt für Wohnungen zu ſorgen,
wenn anders er mit ſeinem Unternehmen überhaupt nur beginnen will,
od. es iſt zwar für die Gewerksgehülfen in der Nähe des Etabliſſements
an Wohnungen an u. für fich kein Mangel, dieſe ſelbſt ſind abex in ver-
ſchiedener Beziehung mangelhaft. Händelt es ſich im erſteren Falle um die
Gründung eines Etabliſſements in einem ſhon vorhandenen, urſprünglich
aber zu anderen Zwe>ten beſtimmten Gebäudekomplex, ſo daß alſo die Ein-
richtung eines od. einiger der vorhandenen Gebäude zu Arbeiterwohnungen
geboten wäre, ſo würde die Aufgabe fein, die Nachtheile des Dabei anzu-
wendenden, im Uebrigen nicht empfehlenswerthen „Kaſernenſyſtems““ mög-
lichſt auszugleichen. Handelt es fi) aber um die Gründung eines Gta-
bliffements, für welches alle Gebäude, demnach auch die Arbeiterwohnungen,
von Grund aus neu beſchafſt werden müſſen, ſo iſt, wenn irgend möglich,
der Bau von Einfamilienhäuſern jedem anderen Syſteme vorzuziehen,
ſollte auh zunächſt von dem Verſuche abzuſehen ſein, die Arbeiterhäuſer
von den Bewohnern zu Eigen erwerben zu laſſen. Dieſen Weg haben
im Weſentlichen die Herren A. Staub & Comp. in Kuchen bei Geislingen
(Württemberg), die Beſißer einer Baumwollenſpinnerei von 28,000 Spin-
deln, nebſt Weberei von 550 mechaniſchen Webſtühlen (Abbild. Nr. 729),
mit ſo richtigem Verftändniß der Aufgabe betreten, daß fie auf der leßten
Barifer Weltausftellung den Preis von 10,000 Fres., die goldene Medaille
des Großen Preiſes u. das Nitterkreuz der Ehrenlegion erhielten. Da es
bei Beginn ihres Unternehmens zunächſt galt, die in der Nähe wohnenden
Arbeiter an die Fabrikarbeit zu gewöhnen, aus der Ferne kommenden aber
Wohnungen zu verſchaffen, die in den benachbarten Dörfern nicht in genÜü-
gender Menge u. Qualität vorhanden waren, jo ſchritten ſie zur Gründung
einer cité ouvrière (Arbeiterſtadt) u. aller der Anftalten u. Einrichtungen,
die ſich mit einer ſolchen füglich verbinden laſſen, alſo einer Bade- U. Waſch-
anſtalt, einer Reſtauration, eines Leſezimmers u. einer Bibliothek, eines
Verſammlungszimmers für unverheirathete Arbeiterinnen, einer Schule u.
einer Kleinkinderbewahranſtalt, regten aber dann auch die Bildung eines
Vereins zur Erwerbung nüßlicher Kenntniſſe, einer Singgeſellſchaft, Muſifk-
geſellſchaft , Krankenkaſſe, Erſparnißkaſſe ſowie eines Feuerwehrvereins an.
Ueber alle dieſe wohlorganiſirten, nur etwas zu patriarchaliſch eingerichteten
Unternehmungen wacht. ein beſonderes, von A. Staub präſidirtes Comité.
Näheres darüber findet der Leſer im, Buch berühmter Kaufleute” (HL. Samml.)
Jn dem zweiten der oben erwähnten Fälle ſtellt die Wohnungsfrage den
Unternehmern verſchiedenartige Aufgaben, je nachdem in ihren Etabliſſe-
ments ausſcließli< jugendliche od. doh ledige Arbeiter, beziehentlih Ar-
beiterinnen, od. ganze Arbeiterfamilien, Gehülfen jedes Alters u. beiderlei
Geſchlechts, ledige u. verheirathete, beſchäftigt werden. Wo das Erſtere ge-
boten od. beſonders üblich u. beliebt iſ, wie bei der Seidenbgndweberei, da
fann die Form des Penſionsſyſtems zu einer ſehr zwe>mäßigen Be
thätigung der Wohnungsſorge verhelfen. Wo das Leßtere der Fall, werden
die Arbeitgeber zunächſt die Gründung von Wohnungsbau - Genoſſen-
ſchaften anzuregen haben, dann aber, ſollte dies vergeblich, ſein, den Bau
auf eigene, od. befjer auf gemeinschaftliche Rechnung mehrerer pereinigter
Unternehmer ausführen. Auch bier aber wäre den Einfamilienhänfern,
deren Eigenthum der Bewohner fih im Laufe dev Zeit zu erſparen vermag,
entſchieden der Vorzug zu geben. War auf der Tegten Weltausjtellung zu
Paris der erſte Verſuch gemacht worden, niht nur den Zuſtand der Ins
duſtrie dem beſhauenden Publikum vors Auge zu legen, ſondern auch ihre
Geſchichte, ihre Entwicklung, ſo hatte die Ausſtellung auch das Verdienſt,
dem Publikum die Wirkung der Jnduſtrie auf das ſoziale Leben zum erſten
Mal in ſeinem ganzen Umfang zu zeigen, es mit den merkwürdigſten That:
ſachen in dieſer Beziehung bekannt zu machen u. zugleich zu belehren,
wie die Arbeitgeber ihrerſeits die bedenklichen Folgen der ungeheuren Um-
wandlung der Zuſtände auf befriedigende Weiſe zu bemeiſtern helfen können.
Selbſtverſtändlich war dabei die-Wohnungsfrage niht unberückſichtigt ges
blieben. Eine größere Zahl von Arbeiterhäuſern war ausgeſtellt, die in
ihren Dimenfionen u. ihrer inneren Einrichtung genau ſolchen Häuſern
entſprachen, welche an verſchiedenen Orten entweder von Baugenoſſenſchaften,
oder auf Rechnung von Großinduſtriellen od. von Aktiengeſellſchaften und
Privatperſonen aufgeführt wurden. Da ſah man vor Allem ein Modell-
haus der cité ouvrière zu Dornach bei der um die Verbeſſerung des
Loſes der Arbeiter hochverdienten elſaſſiſhen Stadt Mülhauſen. Dort
hatte 1852 der Fabrikbeſißer Johann Dollfus, der es jich ſtets hat angelegen
ſein laſſen, die geſunden volkswirthſchaftlihen Anſichten der neueren Zeit
zur Geltung zu bringen, auf ſeine Koſten vier Probehäuſer gebaut. Als
dieſelben ſi<h {nell vermietheten u. vollkommen bewährten, gründete er
unter dem Namen „SocieteE Mulhousienne des citées ouvrières“ eine
Geſellſchaft, welche ſich die Aufgabe ſtellte, kleine, je für eine Familie paſ-
ſende Häuſer zu bauen, ſo viele, als es das Bedürfniß fordere. Das Grün-
dungsfapital wurde auf 300,000 Francs feſtgeſtellt u. die Negierung gab
hierzu noch 150,000 Francs aus ihren Fonds — ein Beitrag, der ſich