Full text: A (1. Band)

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Ariſtoteles 
vor ihmz er zog nicht nur die Philoſophie in ſeinen Bereich, ſondern 
auch die Naturgeſchichte, Phyſik, Mathematik, Aſtronomie, Staats- 
funde, Poeſie 2c. Es iſt {wer in kurzen Worten anzudeuten, wie 
verſchiedenartig die Richtung ſeiner Studien geweſen, mit welchem 
organiſirenden Talente u. mit welchem Blick für das Allgemeine nicht 
minder als mit dem lebhaſteſten Jutereſſe für das Geringſügigſte die- 
fer große Gelehrte alles Wiſſen zu erfaſſen, zu verarbeiten u. ſchriſt- 
ſtelleriſ<h darzuſtellen verſtand. Auf allen Gebieten die Erkenntniß 
mit der Erfahrung vermittelnd, hat er mehreren Wifjenszweigen 
neue Bahnen eröffnet, ja manche Wiſſenſchaſten ganz neu begründet. 
„Im Hinbli auf die Wiſſenſchaft der Philoſophie iſt A., wie Hegel 
ſagt, in die ganze Maſſe ſowol wie in alle Seiten des realen Uni- 
verſums eingedrungen u. hat ihren Reichthum wie ihre Zerſtreuung 
dem Begriffe unterjoht; die meiſten Zweige der Philoſophie haben 
ihm ihre Unterſcheidung, ja ihren Anfang zu verdanten. Dabei ent- 
hält die ariſtoteliſ<he Philoſophie zugleich die tieſſten ſpekula- 
tiven Begriffe. A. iſt ſo ſpekulativ wie Keiner u. übertrifft hierin 
ſogar den Plato, da er die gründlichſte Spekulation , nämlich den 
Jdealismus, gekannt hat u. in dieſer ſteht zugleich mit der weiteſten 
empiriſhen Ausdehnung.” Schon die Logik von A. hat die volle 
Umgrenzung ihres Stoffes erhalten, u. jein muſtergiltiges Vor: 
ichreiten von den Begriffen zu den Säben u. Urtheilen bis zu den 
verſchiedenen Arten der Schlüſſe hat die Grundgefege des formalen 
Denkens für alle Zeiten klar gelegt. So iſt ſeit A. die Logik, in 
gleicher Weiſe wie ſeit Euklid die reine Geometrie, eine vollendete 
Wiffenihaft, welcheran weſentlichen Verbeſſerungen nihts mehr er- 
halten konnte. Wie beſtimmend u. fördernd dieſe Lehre z. B. auf 
die Schärfe des ſcholaſtiſhen Denkens im Mittelalter eingewirkt hat, 
werden die Artikel über „Logik“ u. „Scholaſtik“ entwi>eln. — Den 
platoniſchen „Jdeen“ gegenüber that A. einen großen Fortſchritt, 
indem er ſie als bloße „Schemen“ od. „verewigte Sinnendinge“ zu- 
rücftellte, aus welchen fich das eigentliche Sein od. Werden des 
Sinnlichen nicht erklären laſſe. Jn dieſem Sinne erkannte A. ganz 
richtig das Unpraktifche an der unfruchtbaren Trennung zwiſchen 
Begriff u. Ding, zwiſchen Form u. Stoff; er hält das geiſtige 
Prinzip für beſtimmend mit Rückſicht auf das, was allen Werken 
al3 Bleibendes zu Grunde liegt, ſo daß die ganze Natur u. ihr 
Wirken nichts weiter als ein ſtetiges Formwerden des Stoſſes, 
jedoch nach einer wohlgeordneten Stuſenfolge bedeutet. An der 
Spitze dieſer Bewegung ſteht ihm das göttliche Prinzip, die ſich 
ſelbſt erfaſſende Intelligenz, das ſogenannte „Denken des Denkens“, 
u. die äußere Form der Welt ift ihm durch die mathematijch voll- 
fommenfte Bewegung, die im Kreiſe, bedingt. Hierna<h bildet 
der Himmel mit den Fixſternen eine höhere Sphäre als die 
in der Mitte ruhende Erde u. die zwiſchen ihr u. dem Himmel 
fi) bewegenden Planeten, denen er die Sonne u. den Mond 
zurechnet. Seine Annahme für die Kugelgeſtalt des Erdballs be- 
gründet er in finnreicher Weife nicht nur aus der Form des Erd- 
\hattens im Monde, ſondern au< aus dem verſchiedenen Höhenſtand 
der Geftirne unter verfchiedenen Breiten, endlich aus der Schwerkraft, 
welche auf jedem Punkte der Erdoberfläche (wie es nur bei einer 
Kugel möglich) alle fallenden Körper dem Mittelpunkt der Erde zu- 
treibe. Ju dieſen ſ{harfſinnigen Gedankengängen finden fic) bereits 
ale Borausfegungen für das erft in der Neuzeit (von Newton) aus- 
gefprochene Gravitationzgefeb angedeutet. Jm Zuſammenhange 
damit hatte A. auh {on eine richtige Anſicht von der verhältniß- 
mäßig geringen Größe der Erde, anderen Weltkörpern gegenüber, 
ferner von der Geſtaltung der Erdoberfläche in Bezug auf Waſſer 
u. Land, da er {hon die Erdtheile als Erdinſeln bezeichnet, auch 
die Meinung ausdrüdlich billigt, nach welcher dad Meer ſi< weſtl. 
von den Säulen des Herkules (Gibraltar) bis an die Oſtküſte Aſiens 
hin erſtre>e. Weiterhin entwi>elte ex bereits rihtige Anſichten über 
gewiſſe Lichterſcheinungen', wie Nebenſonnen, Regenbogen 2c. Noch 
großartiger aber ſind die Fortſchritte, welche die Thierkunde u. die 
ſogenannte vergleichende Anatomie dem A. verdankt. Er entde>te 
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Ariſtoteles 950 
die Nerven u. zeigte die wahre Beſtimmung des Herzens u. der 
Adern, welche nach der damaligen Anfhauung aus dem Gehirn ent- 
ſpringen ſollten, ſtellte alſo die Blutbewegung aus dem Herzen feſt 
u, bewies weiterhin (auf Grund zahlreicher anatomiſcher Zergliede- 
rungen), daß unter allen lebenden Weſen der Menſch das größte 
Gehirn hätte. Ein Chamäleon zergliederte er in ſeinem Wiſſens- 
drange ſogar lebendig, um die Bewegungen gewiſſer Muskeln zu 
beobachten. Weiterhin erklärte er zuerſt das Wiederkäuen des Horn- 
viehes u. zeigte die Hauptunterſchiede zwiſchen Affe u. Menſch in der 
Bildung von Geſicht u. Schädel. Auch im Reiche der Vögel u. Fiſche 
berichtigte er manche weit verbreitete Irrthümer ſeiner Zeit, indem 
er dafür den wahren Sachverhalt nachwieg. So lehrte er die Ent- 
ſtehung des Küchleins aus dem Ei u. zeigte, daß nicht alle Fiſche 
weiblichen Geſchlechtes ſeien. Neben ſo verdienſtlihen Aufklärungen, 
welche die Wiſſenſchaft dieſem Manne verdankt, kommen natürlich 
manche Jrrthümer, in denen er noh als ein Kind ſeiner Zeit befan- 
gen blieb (z. B. der Glaube an die Fabel eines rü>wärts weidenden 
Ochſen) nicht in Betracht. Auch in der Pflanzenkunde, über welche lei- 
der ſein Hauptwerk verloren gegangen iſt, ſcheint A. den wiſſenſchaftl. 
Grund gelegt zu haben, auf welchem dann ſeine Nachfolger, zunächſt 
ſein würdigſter Shüler Theophraſtos (\. d.), weiter gebaut haben. 
— Was das geiſtige Leben anlangt, ſo hielt er deſſen irdiſchen Ver: 
treter, den Menſchen, in welchem der Gedanke des göttlichen Den- 
kens erſt zum Bewußtſein komme, zwar für den Zwe> der ganzen 
Schöpfung, dod für unendli<h vervollklommnungsfähig. Aber er 
ſchied hierbei ſhon ſehr ſcharf die verſchiedenen Richtungen der geiſti- 
gen Thätigkeit, das Wiſſen des Wahren vom Ueben des Guten, 
indem er 3.B. die ſokratiſche Lehre von der Erlernbarkeit der Tugend 
beſtritt. Jm Einklang mit dem ganzen öffentlichen Leben ſeiner Zeit 
machte er die Ausbildung der ſittlichen Tugend beſonders vom poli- 
tiſhen Wirken abhängig u. konſtruirte den Staat, niht wie Plato 
aus der reinen Jdee, ſondern mit Berückſichtigung der dur<h Ge- 
ihichte u. Erfahrung gebotenen beſonderen Verhältniſſe. — In Bes 
zug auf die Kunſt der Darſtellung endlih war es A., welcher u. A. 
die Lehre von der rednerifhen Erfindung („Topif”) begründete, u. 
ſein Werk von der „Poetik“ iſt das Bedeutendſle, was wir über die 
Theorie der helleniſchen Kunſt beſißenz; au< hat in Betreff des 
Drama der na ihm benannte Grundſaß von der dramatiſchen Ein- 
heit (des Ortes, der Zeit, der Handlung) bis in die neuere Zeit, 
wenigſtens. in Frankreich, Geltung behalten. — Was die Dar- 
ſtellungsweiſe in den Schriſten des A. betrifſt, ſo fehlt derſelben 
allerdings die hohe künſtleriſhe, namentli<h dramatiſche Form, in 
welche Platon ſo glü>lich ſeine philoſophiſchen Unterſuchungen hüllte. 
Es ſind wiſſenſchaftlich ernſt gehaltene Abhandlungen, welche aber 
deſto mehr durch die logiſhe Form, gedrängte Darſtellung u. reiche 
Stofffülle anziehen. Unter ſeinen vorzüglichſten Schriſten heben wir 
nux folgende hervor: zunächſt das „Organon“ (enthaltend die Bücher 
von den „Kategorien“, „Urtheilen“, „Schlüſſen“, von der „Beweis- 
führung“, von der „Topik“, von den „Trugſchlüſſen“); ſodann die 
„Rhetorik“, die „Poetik“, die „Phyſik“ (vom „Himmel“ u. von 
„meteorologiſchen Erſcheinungen“); ferner die „Geſchichte der Thiere“, 
über die „Theile der Thiere“, von der „Erzeugung der Thiere“; 
weiterhin über die „Seele“, die ſog. „Metaphyſik“ (wörtl. „nach der 
Phyſik“, weil die betreffende Schrift in den handſchriftl. Katalogen 
gewöhnlich glei hinter der „Phyſik“ aufgeführt wurde); endlich die 
dem Nifomahus gewidmete „Ethit” u. die „Bohitif”. — Viele 
unter des A. Namen bekannt geweſene Schriften find offenbar un- 
e<t; dahin gehört auh eine Reihe von Briefen, welche im Alter- 
thum dem A. zugeſchrieben wurden. Die erſte Sammlung der unter 
ſeinem Namen vorhandenen Werke erſchien von Aldus Manutius (Ve- 
nedig 1495—1498, 5 Bde. ); alsdann folgten Ausgaben von Caſau- 
bonus (Leyd. 1590), von Duval (Paris 1639), von Buhle (Zwei- 
briiden 1791—1799) u. ſt. w. Den vorzüglichſten Text indeſſen hat 
Immanuel Bekker im Auftrage der: Berliner Akademie der Wiſſen- 
ſchaften geliefert (Berlin 1831—1836, 4 Bde.), unter Hinzufügung 
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