Arktifche Lander
Schickſale. Als um die Mitte des 10. Jahrh. die Normannen die ameri-
faniſchen Küſten befuhren, ſcheinen ſie Eskimos bis an das jeßige Ge-
biet der Vereinigten Staaten gefunden zu haben. Grönland war menſchen-
arm; die 500 Jahre ſpäter kommenden Entde>er trafen in den Ver-
einigten Staaten ſtatt der Eskimos Judianerſtämme an, u. ſo läßt ſich
vermuthen, daß Erſtere von Leßteren in der Zwiſchenzeit vertrieben u.
weiter nach dem Norden Hinauf gedrängt wurden.
Unter einander Yeben die Esfimos im beſten Einvernehmen; ſelten
fommt es zu Zank u. Streit, u. dann in der Regel nur um der Weiber
willen. Der Esfimo ift ruheliebend, ſelbſt träge, wenn er nicht etwa
auf der Jagd iſt, aber in der Regel bei recht guter Laune, zu Scherz
u. Wit aufgelegt. Was nicht unbedingt nöthig iſt u. ihn niht ganz
nahe berührt, läßt ihn gleichgiltig u. ſtört ſeine Ruhe nicht.
Dieſe Polarmenſchen bilden weder einen Staat, noch haben ſie eigent-
liche Häuptlinge od. ſonſt Perſonen, die ihnen Etwas zu befehlen hätten.
Alles Eigenthum iſ rein perſönlich u. die See ernährt ſie Alle. Jeder
lebt, ſo gut ex kann, ohne den Andern zu beeinträchtigen. Hat der Es-
fimo eine gute Jagd gehabt, die ihm recht viel Fleiſh, Fiſh u. Thran
lieferte, ſo hat er keinen Wunſch weiter. Die einzigen Perſonen, welche
unter den heidniſchen Eskimos eine hervorragende Stellung einnehmen,
ſind die Zauberer od. Angekos, die, wie ſi<h von ſelbſt verſteht, zu-
gleich ihre Aerzte find: Auch bei dem roheſten Völkchen finden fich
immer einzelne Individuen, welche verſchmißter als die anderen ſind und
aus der Leichtgläubigfeit der Lebteren Vortheil ziehen, ebenſo auc hier.
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Nr. 784, Walroßjagd.
Ein Eskimo-Zauberer hat Macht über die Geiſter, u. mit ihrer Hülfe bannt
er Krankheiten, die von böſen Menſchen angehext wurden; ex ſchafft Rath,
wenn es an Seehunden fehlt, oder dieſe ſih niht fangen laſſen wollen.
Die böſen Geiſter halten ſie in den Tiefen zurü>k, ſagt er dann, od.
die böſen Geiſter haben ihnen unſere Jagdkünſte offenbart; aber. ih will
hinab, ſie zu züchtigen. Dann wird- der Zauberkreis geſchloſſen; der
Beſchwörer legt ſich auf den Boden u. ſein Gehülfe bede>t ihn mit
einer großen Matte. Nun tönen ſeltſame, unverſtändliche Laute u.
Worte unter der Matte hervor; die Stimmen werden immer gedämpfter
u. die aufs Aeußerſte geſpannten Zuhörer merken deutlih, daß der
Zauberer immer tiefer in die Erde hinabſteigt. Endlich iſt Alles ſtill
geworden, u. athemlos harren die Umſtehenden, bis das erſte dumpfe
Murmeln fich wieder hören läßt. Nunmehr gehen die Stimmen crescendo,
der Wundermann fonımt wieder nach oben, ı. endlich wird die Matte
weggezogen. Er hat triumphirt u. zeigt zum Beweiſe ein blutiges Meſſer,
womit ex dem Geiſte im harten Kampfe einen, zwei od. mehrere Finger
abgeſchnitten hat. Zeigen fich troß des Hofuspofus keine Seehunde od.
Bären, jo ift der Zauberer ſo wenig um eine Ausrede verlegen, wie
die Schaßgräber, die noch heute mitten im gelehrten Deutſchland Eski-
mos genug finden, die ſie in aller Bequemlichkeit ausplündern.
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Arktiiche Lander 968
Mit dem Glauben an Hexen u. Geiſter u. allenfalls an ein künftiges
Paradies voll Seehunde ſind die überſinnlichen Fdeen des Eskimos ſo
ziemlich erſchöpft; religiöſe Gebräuche hat er nicht, u. die Jdee eines
Gottes iſt ihm fremd. Selbſt auf Grönland, wo die Eskimos nun
ſchon längere Zeit mit europäiſcher Kultux u. dem Chriſtenthum bekannt
geworden, ſind ſie im Allgemeinen fich gleich geblieben; nur die Zaube-
ver haben unter den Bekehrten kein Anſehen mehr. Die Chriſtianiſirung
Grönlands ift das Werk eines norwegiſchen Prieſters, Hans Egede (\. d.),
im vorigen Jahrhundert.
Die Nordpolfahrten. Troß der ſchauerlichen Unwirthbarkeit der Polar-
gegend bietet die Geſchichte der nah denſelben ausgeführten Entde>ungs-
reiſen ein höchſt intereſſantes Bild der Beharrlichkeit, mit welcher der
Menſch gegen die widerſtrebenden Gewalten der Natur ankämpft u. end-
lich obſiegt. Gleichzeitig entrollt ſih vor unſeren Augen ein Abſchnitt der
Entwicklungs8geſchichte des Menſchengeſchlechtes ſelbſt, eben ſo intereſſant
durch das Terrain, auf welchem er ſpielt, als dur< die Beweggründe,
welche die Handelnden beſeelten, u. durch die Mittel, welche zur Er-
reichung der geſte>ten Ziele in Thätigkeit geſeßt wurden.
Nachdem das Feſtland Amerika entde>t war, ſchwebte den jeefahren-
den Nationen immer noch das Ziel vor, einen möglichjt nahen Weg
nach) den Goldländern Kathay (China) u. Zipango (Japan) aufzufinden.
Man verſuchte dies auf dreierlei Wegen.
Einmal hielt man es für möglih, nordöſtl. um das ſkandinaviſche
Nordkap herum quer dur<h Aſien zu ſegeln, deſſen Ausdehnung nach
Norden man nicht kannte. Zweitens
hoffte man im Norden Amerika's
eine Waſſerverbindung zwiſchen dem
Atlantiſchen u. dem Stillen Ozeane
zu treffen, welche zwar an der Dft-
ſeite Anfangs beſchwerlich ſein möchte,
bei ihrem weitern Verlauf aber hof-
ſentlich bequemer: würde u. vielleicht
im Buſen von Californien endigte.
Den dritten Verſuch beſ<loß man
gerade über den Nordpol zu machen,
den man Sich als eisfreies Meer
dachte. So, von Drei gleich falſchen
Hoffnungen geleitet, das goldichim-
mernde Kathay u. Zipango im fer:
nen Oſten Aſiens als Ziel vor Augen,
wagte eine Nation nach der andern
den Kampf mit dem Meer der Finſter-
niſſe, mit Eisſchollen, Wellen, Krank-
heit u. Sturm.
Den portugieſiſchen u. ſpaniſchen
Entde>ungsfahrten folgten auf dem
Fuße die der Engländer. Auch hier
war es zuerſt ein Ftaliener, Gio-
vanni Gabota (Fohaun Cabot (\.
D. ), der im Dienſte Englands, u. zwar
in nordweſtlicher Richtung, ausfuhr;
denn er meinte, wenn ſein Lands-
mann Columbus im Südweſten Land
geſunden, ſo müſſe fich wol im Nord-
weiten auch welches finden. Noch
eher als Columbus ſah ex auf dieſer
Reiſe das Feſtland von Amerika u. entde>te am Johannistage 1497 die
Inſel Neufundland. Bei allen Reiſen nah dem Nordweſten hatte man,
nächſt dem allgemeinen Ywede neuer Entdeckungen von Ländern voll Gold
u. Silber, immer auh den beſondern im Auge, einen Weg um das
amerikaniſche Feſtland herum in das- Stille Meer zu finden. Auch die
Spanier ließen dieſe Angelegenheit niht aus dem Auge; die Franzoſen
ſandten, zuerſt 1524, Schiffe auf Entde>kungen nach dem Nordweſten. Zehn
Fahre ſpäter umſchifſte Jakob Cartier Neufundland u. fuhr in den großen
Lorenzſtrom ein bis zu einer indianiſchen Niederlaſſung Namens Hochelaga.
Bei den zahlreichen vergeblichen Verſuchen, dur<h das endloſe Wirr-
ſal von Land, Waſſer u. Eis im Norden Amerifa’3 einen Durchgang
zu finden, mußte fich der Gedanfe Raum bahnen, ob nicht das erſehnte
Ziel, Jndien, ſi< beſſer in nordöſtlicher Richtung, längs der Küſte
Lapplands u. |. wm. erreichen Tieße, u. fo ſehen wir denn eine Zeit lang
die Schiffe der Entde>ker nach zwei entgegengeſeßten Richtungen hin aus-
laufen. Eine Geſellſchaft engliſcher Kaufleute rüſtete die erſten Nordoſt-
fahrer aus, den „Weg nach Kathay“ zu ſuchen. Es waren drei Schiffe,
die im Mai 1553 die Anker lichteten. Am Nordkap wurde durch einen
furhtbaren Sturm eines der Schiffe von den anderen getrennt. Dieſe
beiden jeßten unter dem Befehl Willoughby’s die Reiſe bis Nowaja-
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