Full text: Des Ergänzungswerkes erster Band (9. Band)

  
  
  
  
  
  
Auersperg 564 
  
  
Dichter“ (Mannh. 1839, 2 Bde.; 4. Aufl. Stuttg. 1860), denen er 
den Geſammttitel „Das Ghetto“ gab. Die leßtgenannte knüpft an das 
Leben des Epigrammatikers Moſes Ephraim Kuh eine Schilderung 
des Judenthums in der 2. Hälfte des 18. Jahrh. Die erſtgenannte gab 
A. die Anregung zu ciner Ueberſehung der Werke Spinoza's aus dem 
Lateiniſchen (ebd. 1841, 5 Bde.; n. Aufl. 1874, 2 Bde.), deren Aus- 
gabe er die erſte philoſ.-krit. Lebensgeſchichte Spinoza's, die wir be- 
ſigen, vorausſchi>te. Nach dieſer reinwiſſ. Arbeit öffnete ſich A. die 
Rückkehr zum belletriſt. Gebiete durch einen Verſuch, die abſtrakte 
Philoſophie mit der Poeſie zu verbinden; es geſchah dies in 2 Erzäh- 
lungen nach Art der Platoniſchen Dialoge, die er ſpäter in ſeine Novel- 
lenſammlung „ Deutſche Abende“ (Mannh. 1850) aufnahm. Um 
hierauf auch dem ſchlichten Verſtande die Reſultate der Philoſophie 
begreiflich zu machen, ſchrieb ex: „Der gebildete Bürger, Buch für den 
denkenden Mittelſtand “ (Karlsx. 1842). Daneben begann er jene 
poetiſchen Schilderungen aus dem Volksleben ſeiner Kindheit, die ihm 
einen europäiſchen Ruf verſchaffen ſollten. Die „Schwarzwälder 
Dorfgeſchichten“ (Mannh. u. Lpz. 1843—54, 4 Bde.; 10. Aufl. 
Stuttg. 1868; vermehrte Volksausg. ebd. 1871, 8 Bde.) wurden nicht 
blos in ihrem eigenen Genre, ſondern auch in der deutſchen Literatur 
epochemachend, indem ſie das Zeichen einer Rückkehr zum Natürlichen 
gaben. Was ihnen hauptſächlich die ungemeine Verbreitung verſchaffte 
— fie find auch in die Sprachen aller Kulturvölker überſeßt worden u. 
haben eine Flut von Nachahmungen hervorgerufen —, iſt die ernſte 
Theilnahme für das Volk in Verbindung mit der Keuſchheit der Er- 
zählung u. dem außerordentlichen Erzählergeſchi>. A. ſelbſt ließ der 
erſten Sammlung, aus welcher Charlotte Birch- Pfeiffer die „Frau 
Profeſſorin“ ohne Erlaubniß des Autors zu einem ihrer wirkſamſten 
Bühnenſtücke unter dem Titel „Dorf u. Stadt“ benußte, die gleicharti- 
gen, nicht ohne Glü> breiter angelegten Erzählungen folgen: „Bar- 
füßele“ (Stuttg. 1856), „Joſeph im Schnee“ (ebd. 1860; 2. Aufl. 
1867), „Edelweiß“ (ebd. 1861; 4. Aufl. 1870) u. mehrere „Neue 
Dorfgeſchichten“ unter dem Geſammttitel „Vor dreißig Jahren“ (ebd. 
1876). Lettere haben indeß einen verhältnißmäßig nur geringen 
Beifall gefunden. Der Voltsbelehrung ſuchte A. weiterhin dur 
Herausgabe des Volkskalenders „Der Gevattersmann “ (Stuttg. 
1845—48 [die in demſelben enthaltenen Auſſäße erſchienen ſpäter 
als „Schaßkäſtlein des Gevattermanns“, ebd. 1856]), eines „Deut- 
ſchen Familienkalenders“ (1858)u. eines „DeutſchenVolkskalenders“ 
(1859—69) zu dienen. Jn dieſen Kalendern war er demBeiſpiel des 
wacern Joh. Peter Hebel gefolgt, von dem A. auch eine treffliche 
Charakteriſtik in „Schrift u. Volk, Grundzüge der volfsthüml. Lite- 
ratur“ (Lpz. 1846) lieferte. Eine Reiſe nach Oeſterreich hatteihn 1849 
zum Augenzeugen der Wiener Revolution gemacht; dieſe führte ſeine 
Gedanken auf einen Volkskampf anderer Art, der ihn zu einem dramat. 
Verſuch anregte, indem er das Trauerſpiel „Andreas Hofer“ (Lpz. 
1850) ſchrieb; doh ſowol dieſer wie ein ſpäterer Verſuch (mit dem 
Schauſpiel „DerWahrſpruch“, ebd. 1859) ſcheiterte; nur eineBluette 
A.'8, „Das erlöſende Wort“, iſtneuerdings auf verſchiedenen Theatern 
mit leidlichem Erfolg gegeben worden. Auch der Roman „Neues 
Leben“ (Mannh. 1852, 3 Bde.; n. Ausg. Stuttg. 1855), dem der 
breite harmoniſch gegliederte Aufbau fehlt, wareinemißlungene Arbeit. 
Werthvoller, indeß auch aufkeinehohe Künſtlerſchaft Anſpruch machend 
find ſeine Romane: „Auf der Höhe“ (Stuttg. 1865, 3 Bde. ; 8. Aufl. 
1870); „Das Landhaus am Rhein“ (ebd. 1869, 5 Bde.;, 4. Aufl. 
1871) u. „Waldfried“ (ebd. 1874), denen fich noch die Erzählung 
„Landolin von Reutershöfen“ (Berl. 1878; 3. Aufl. 1879) anreiht. 
Eine Sammlung ſeiner ſämmtlichen Romane erſchien in einer 12bänd. 
Volksausgabe 1871 f. zu Stuttgart, gleichzeitig mit einer Sammlung 
alter u. neuer Bolfserzählungen unter dem Titel „Zur gutenStunde“. 
Außerdem find von A.3 Schriften zunennen: „Goethe u. die Erzäh- 
lungsfunſt“ (Stuttg. 1861); „Wieder unſer!“ (Gedenkblätterzur Ge- 
ſchichte unſerer Tage, ebd. 1871); „Erlebniſſe einer Mannesjeele” 
(ebd. 1873)u. „Tauſend Gedankeneines Kollaborator3“ (Berl. 187 5). 
A. hat ſeinen Aufenthaltsort oft gewechſelt. Nach ſeiner Univerſitäts- 
zeit nacheinander in Frankfurt a. M., Bonn u. Mainz lebend, ſiedelte 
er 1845 nach Norddeutſchland über, wo er ſich theils längere, theils 
  
  
kürzere Zeit in Weimar, Leipzig, Dresden, Berlin u. Breslau aufhielt, 
bis er 1850 vorzugsweiſe in Berlin u. 1872 auf ſeiner Villa bei 
Freiburg i. Br. ſeinen Wohnſiß nahm. 
Auersperg, Adolf Wilhelm Daniel, Fürſt, öſterr. Staats- 
mann, 3. Sohn des Fürſten Wilhelm 11. A. (geb. 5. Oft. 1782, geſt. 
25. Jan. 1827), aus deſſen 2. Ehe mit der Freiin Friederike v. Lenthe 
(geb. 1791, geſt. 1860), wurde geb. 21. Juli 1821, trat, wie ſein 
Bruder Alexander (geb. 15. April 1818, geſt. als Gen.-Major 2. März 
1866) in das öſterr. Heer einu. diente bis indie 60er J. bei dem Drag.= 
Reg. „Prinz Eugen v. Savoyen Nr. 5“; auch nachdem ex als Major 
ſeinen Abſchied genommen, ward ex noch als „außer Dienſt“ in den 
Armeeliſten fortgeführt, bis er 27. März 1870 den erbetenen vollſtän- 
digen Austritt aus dem Heeresverbande bewilligt erhielt. Jnzwiſchen 
war ex, im Febx. 1867 vom verfaſſungstreuen nicht fideikommiſſariſchen 
Großgrundbeſiß zum Abgeordneten für den böhmiſchen Landtag ge- 
wählt, in das politiſche Leben eingetreten; bald darauf, nach der Reſig- 
nation des Grafen Hartig, wurde er zum Oberſt-Landmarſchall von 
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Nr. 286. Adolf Wilhelm Daniel, Fürft Auersperg (geb. 21. Juli 1821). 
Böhmen ernannt, als welcher er nahezu 3 J. die Sißungen des Lan- 
desausschuffes in Brag leitete. Auch im Herrenhaufe des öſterr. Reichs- 
raths, deſſen lebenslängliches Mitglied A. ſeit 20. Jan. 1869 iſt, ent- 
wielte ex eine erſprießliche Thätigkeit. Am 15. März 1870 erfolgte 
ſeine Ernennung zum Landes-Präſ. des Herzogth. Salzburg. Nach- 
dem am 30. Oft. 1871 das Miniſterium Hohenwart ſeine Entlaſſung 
gegeben hatte, auch der Reichskanzler Graf v. Beuſt einige Tage darauf 
geſtürzt worden u. 8. Nov. Graf Andraſſy ans Ruder gekommen, es 
aber dem Frhrn. v. Kellersperg nicht gelungen war, ein cisleithaniſches 
Kabinet zu bilden, ward hiermit 16. Nov. A. betraut, u. ihm gelang es 
denn auch 25. Nov. ein neues Miniſterium zu Stande zu bringen, in 
dem er das Präſidium übernahm (Näheres |. unter „Deſterreich“ ). 
Das wichtigſte Ereigniß in der Geſchichte dieſes Miniſtexiums war die 
Wiederaufnahme der Ausgleichsverhandlungen mit Ungarn bez. der 
von beiden Reichshälſten zu den gemeinſamen Ausgaben zu leiſtenden 
Beiträge, über die 1867 eine nux auf 10 J. geltende Abmachung ver- 
einbart worden war. Dieſelben führten nach langer Dauer zu einer 
innern Kriſis, da das KabinetA., ohneFühlung mitdem Abgeordneten- 
hauſe zu unterhalten, dex ungar. Regierung gegenüber Verpflichtungen 
eingegangen war, zu deren Einlöſung dann die Abgeordnetenmehrheit 
ihre Genehmigung verweigern wollte. Infolge deſſen hielt es das, 
übrigens im Laufe der Zeit ſchon mannichfach veränderte Miniſterium 
A. für ſeine Pflicht, am 26. Jan. 1878 um ſeine Entlaſſung zu bitten. 
Da aber dex Kaiſer die Ueberzeugung gewann, daß es unmöglich 
ſei, ein neues Miniſterium zu bilden, welches die Gewähr für die 
unveränderte Durchführung des zwiſchen Cis- u. Transleithanien 
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