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4 Dr. Carl Th. Richter.
die Unvollkommenheit der Ausftellung felbft. Sie find eben nur felbft ein Beitrag zu
diefer, und darüber, glaube ich, darf man im officiellen Berichte des weiteren wohl
fprechen. Sagen wir es kurz und ganz beftimmt: Man ift in keiner Weife über
die mit der Gruppe XIX angeregten Fragen klar, weder über die hier eingreifen-
den hiftorifchen Erfcheinungen, noch über die heute geltenden thatfächlichen
Verhältniffe.
Das vielfach angezogene, fo geiftreiche Programm über die Gruppe XIX
gibt merkwürdiger Weife auch dafür Belege. Es fpricht in vollftändiger Verken-
nung des alten bürgerlichen Wohnhaufesvon „der Raum und Materialverfchwen-
dung und einer ziemlich willkürlichen Eintheilung und Geftaltung“ desfelben.
Es fpricht, eben fo unklarüber die gegenwärtigen Verhältniffe, von der „Landplage
der Miethkafernen.“ Es bewegt fich in Betreff der Einrichtung des bürgerlichen
Wohnhaufes in dem Gedankenkreife des erften beften Aefthetikers, der dort ftreng
kathedermäfsige Weisheit als Zeichen der vollen Menfchenwürde fordert und zur
Geltung bringen will, wo die fadtifchen Verhältniffe felbft dem feinft gebildeten
Kreife ein entfcheidendes non possumus entgegenfetzen.
Neben „der Landplage der Miethkafernen“, die heute fchon weit über die
grofsen Städte hinausgreift, entwickelt fich nämlich ganz naturgemäfs neben dem
Miethen das Ausmiethen und Kündigen, neben dem Einziehen das Ausziehen, Ver-
hältniffe, welche die „architektonifche Einrichtung und Decoration“ taufendfach
gefährden und unmöglich machen, und felbft, wo fie möglich ift, in ihrem Glanz
und Duft fehr oft zerbröckeln. Unter diefen Verhältniffen geftaltet fich das bür-
gerliche Wohnhaus der Gruppe XIX, und alle Abfichten und Forderungen, die
man dabei zur Geltung bringen wollte, ebenfo wie die Summe aller modernen An-
fprüche der Berufsäfthetiker, als exiftirend für Jene, welche der Himmel mit Glücks-
gütern [fo reich gefegnet hat, dafs das bürgerliche Wohnhaus für fie in der That
als ihr Haus und nicht blos als ihre Wohnung erfcheint, find noch ungeklärt. Wir
wollen diefen Verhältniffen gegenüber in einigen kurzen Zügen die Gefchichte
und Oekonomie des bürgerlichen Wohnhaufes kennzeichnen. Das Ende diefer
Gefchichte wird vielleicht auch im Stande fein, die Mangelhaftigkeit und Unvoll-
kommenheit der Gruppe XIX auf der Ausftellung zu erklären.
Es geht ein einziger und dauernd gleicher Zug durch die Gefchichte des
Wohnhaufes der Menfchen. Das Haus in feiner Geftaltung und Eintheilung ift
nichts Willkürliches und von dem Menfchen allein Bedingtes. Es hängt dauernd
und in allen Culturperioden von der wirthfchaftlichen Lage der Menfchen ab.
Wir können drei grofse Perioden in der Gefchichte des bürgerlichen Wohnhaufes
unterfcheiden, Perioden, für welche die deutfche Sprache bezeichnende Namen
uns bietet. Ich meine die Periode der einfachen Behaufung, welche mit den
Anfängen der menfchlichen Cultur, Jahrtaufende vielleicht für fich in Anfpruch
nehmend, zufammenfällt.
Mit dem grofsen Culturmoment der Sefshaftigkeit oder der Anfäflig-
machung der Menfchen beginnt die Periode, wenn wir fo fagen dürfen, des bür-
gerlichen Wohnhaufes. Sie reicht bis in die Gefchichte unferer Väter und ift in
einzelnen Zügen in dem Leben der bäuerlichen Bevölkerungnoch immer erhalten.
An diefe Periode reiht fich die unfere Zeit beherrfchende und inden grofsen
Bevölkerungscentren zum Ausdrucke kommende Periode der Miethwohnung und
der Zinshäufer.
Dafs diefe Perioden fich nicht mit der Schärfe der Paragraphen abgrenzen,
ift leicht erklärlich. Unferer Cultur gehen fchon Cuiturperioden voraus, die Leid
und Freud der Menfchheit, auch die der Wohnung ausgelebt haben. Xenophon und
Plutarch erzählen von den Wanderungen und Wohnungswechfeln der Könige
und Vornehmen der Perfer, welche es in dem dichtbevölkerten Sufa mit dem
Nahen des Frühlings nicht mehr auszuhalten vermochten und ihre Sommer-
wohnungen in Ekbatana bezogen. Rom hat diefen Luxus frühzeitig nachgeahmt.
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