Full text: Bildende Kunst der Gegenwart (Heft 75)

Jofef Langl. 
Diefelbe Vollendung in technifcher Hinficht zeigte uns der Künftler auch 
an feiner „Afrikanerin“; fo realiftifch die Formen gehalten waren, fo fchön waren 
fie auch. 
Ein ganz fonderbares Effectftück hatte Grilla in feiner „lefenden Blinden“ 
gebracht: das arme unglückliche Wefen taftete mit den Fingern in einem Buche 
mit erhabenen Lettern, und dem Befchauer blieb es überlaf ffen, das Bild fich aus- 
zumalen, wozu ihr ftarres Antlitz die Folie bot. 
Von den Römern hatte Maffini in feiner „Fabiola* ein Meitterftück in 
der Drapirung geliefert; wie überhaupt in der ganzen Geftalt die Natur fozufagen 
abgefchrieben erfchien. Bottinelli’s „Eite lkeit*, Rofetti’s „Naivetät“, „die 
Quelle der Liebe“ etc., fowie Ron an Us „Bacch antin“ waren anmuthige Ge 
ftalten, bei denen die Formen fich zumeift an die ideale Richtung hielten. 
Anfiglioni’s Sculpturen gingen nur auf technifche Bravour aus; viel mehr war 
anihnen nicht zu bewundern. Zur Erinnerung an Monti’s „Traum der Freude“ 
brachte er neben Anderem auch eine ganz werich leierte fchwebende Geftalt als 
„Flora“. Die „blinde Nidia“, Blumen Bfäckend: von Dinotti, mufs wohl als 
unplaftifches Motiv beze ichnet werden, war aber durch die reizvolle Behandlung 
des Details von anfprechender Wirkung. 
Es dürfte das Angeführte für die Charakteriftik der gegenwärtigen italie- 
nifchen Sculptur genügen; denn, was fich unter den nahe 300 ausgeftellten Wer 
ken Weiteres vorfand, war weniger bedeutend und fchlofs fich der einen oder 
anderen der localen Richtungen an, die übrigens, wie aus dem Gefchilderten 
erfichtlich fein mag, unter fich nur geringe Unterfchiede zeigen. 
Die Sculpturen der übrigen Staaten. 
Den befprochenen Grofsmächten der Kunft gegenüber bot die Plaftik der 
anderen Staaten keine auffallenden Sonderheiten in Bezug auf die allgemeinen 
Beftrebungen. Die Künftler erhalten ja ausfchliefslich ihre Ausbildung aut deut- 
(chem, franzöfifchem oder italienifchem Boden, und ift es begreiflich, GE fie fich 
in ihren Produdtionen je den betreffenden Schulen anfcl liefsen. Vielfach ift es 
denn auch die nationale Verwandtfchaft mit einer diefer drei Hauptvölkerfchaf- 
ten, dafs die Künftler fchon von Haufe aus ähnlichen Tendenzen ergeben find. 
So finden wir beifpielsweife in der Schweiz: die deutfche, franzöfifche und 
italienifche Richtung vertreten; Belgien hält fich an Frankreich, England an 
Italien, Rufsland an Deutfchland und Italien etc. Nur die Künftler Dänemarks 
correfpondiren feit Thorwaldfen diredt mit dem alten Griechenland; wie auch die 
modernen Bildner diefes einft tigen Kunftlandes noch Reflexe des goldenen Zeit- 
alters zur Erfchein: ung zu bringen fuchen. Griechenland hatte Sculptnseh aus dem 
Alterthume und der neueften Zeit auf der Ausftellung repräfentirt; die Ueberrefte 
von den Bauten der Akropolis und Anderes aus Attica wurden in Gypsabgüffen 
vorgeführt, an denen freilich das Gros des W eltausftellungs-Publicums mit gerin- 
gem Intereffe vorübereilte a zogen hie und da Zu e Photographien des 
ehrwürdigen Burgfelfens einen Philhellenen an. die Gedanken in der Vergangen 
heit fchweifen zu laffen — doch wie wenige waren . eis! 
Ais der begabtefte unter den Bildnern de segenwart, die in Attica ihre 
Werkstätte haben, ift Leonidas Droffis hier a Seine Werke, die in 
bedeutender Anzahl auf der Aust tellung erfchienen waren, lehnen fich unmittel- 
bar an die alten Vorbilder an und find durchwegs vom edelften Geifte getragen. 
Glücklicher ift der Künftler jedoch in Einzelftatuen als in gröfseren C 'ompofitio- 
nen, welchen (wie bei den Giel elfeulpturen der Sina’fchen Akademie) der orga- 
he Zufammenhang fehlt und wo die Geftalten nur aneinandergereiht ausfehen. 
   
  
   
     
     
    
  
    
      
   
  
    
   
    
   
  
    
    
    
  
  
  
  
   
  
   
  
   
   
  
   
  
  
   
    
            
     
     
    
   
   
    
   
  
       
     
   
   
      
   
      
   
   
   
  
   
  
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