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9) Dr. Jofef Bayer.
Körperform nur die Ueppigkeit des entblöfsten Fleifches. Wenn aber die antiken
Künftler gelegentlich die Phrynen in Göttinnen verwandelten, fo machen die
modernen Franzofen die Göttinen wieder zu Phrynen.
Es ift einmal die Nachfrage nach Nuditäten in der franzöfifchen Kunft fehr
grofs: da mufs denn auch, wo die Mythologie als Vorwand nicht mehr ausreicht, die
AllegorieundPer fonification zuHilfe genommen werden, die ja auch ein
willkommener Freibrief für das Nackte ift. Endlich folgt dann die Nudität als
Selbftzweck, ohne jeden Prätext, und zuletzt dann als cynifche Pointe diefer ganzen
Gattung — das widerliche Motiv des Sclavinenmarktes, die Nacktheit des leben-
dig feilgebotenen Menfchenfleifches.
Nuditäten, unter allegorifcher Etiquette auf den Markt gebracht, hatte die
franzöfifche Expofitionmehrere aufzuweifen; fo die„Nacht“* von Alboy-Rebou
et (Nr. 2), den „Frühling“ vonBouvier(Nr. 82), den „Schlaf“ vonB.v.Gironde
(Nr. 293) und vor Allem die Primadonna in der Schauftellung des Leibes und der
wirkfamen Adtftellung: JulesLefebvre’s „Wahrheit“ (Nr. 423). Der letztgenannte
Künftler fcheint überhaupt nur das Weib „an fich*, ohne jede verhüllende Zuthat
zu malen; „La Cigale“ (Nr. 425) und die „Femme couchee“ (Nr. 422), letztere
im Befitz des rechten Mannes, des Herrn Al. Dumas fils, find weitere virtuofe
Proben diefer geilen Körpermalerei. — Von ehrlicher Allegorie, die wirklich
einen Gedanken durch Figuren finnbildlich ausdrücken will, enthielt die franzö-
fifche Abtheilung auch mancherlei, das freilich zuweilen neben der wohlgemeinten
Abficht und forgfältigen Bebandlung auch den Stempel der Langweile trug: fo
ZB. die „nationale Blesiec (NE 22) vonR Balze; „DerGreis und die drei
Jünglinge“, Illuftration zu einer Lafontaine’fchen Fabel (Nr. 141) vonCh. Co&ffin
dela Foffe; „Becher und Leier“ (Nr. 539) von L. Priou, wenigftens von
frifcherer und lebhafterer Farbe, als fie fonft bei Allegorien Brauch ift; „Die
Wahrheit von der Lüge verleitet“ (Nr. 578) von Frau Ad. Salles-Wagner;
„Die Comödie“ (Nr. 537) von J. Poncet;.„La Piete“ (Nr. 603). und „Die Mufe
und der Dichter“ (Nr. 604) vonCh. Timbal, das letztere Bild von guter Haltung,
wenn auch von mittelmäfsiger Compofition. Das wirkfamfte und figurenreichfte
der allegorifchen Bilder war jedenfalls „Das Glück“ von Achille Sirouy (Nr. 594).
Ein Thema fürwahr, das unferer von fpeculativen Giücksträumen aufgeregten Zeit
ernftlich zu fchaffen gibt, und über das blofe allegorifche Spiel weit hinausgeht.
Von den Abenteurern der Weltmeer-Ritterfchaft, den Eldoradoträumern bis zu
unferen Börfenglücksrittern hinab, fehen Alle mit fieberbafter Erregung nach der
Göttin hin, die mit behenden Füfsen die gläferne Kugel unter fich weiter fchiebt;
das Thema von der „Jagd nach dem Glücke“ ift fürwahr ein zeitgemäfses geblie-
ben, undiftesimmer mehr geworden, feitdem fchon AlbrechtDürrer feine „grofse
und kleine Fortuna“ concipirte. In diefem Stoffe haben wir eine Concurrenz
zwifchen einem deutfchenund einemfranzöfifchen Künftler vor uns. Henneberg’s
Bild ift von ergreifenderer, phantaftifcher Tragik; bei ihm ift’s wirklich eine wilde
Jagd nach der lockenden Irrwifchgeftalt der Glückshexe, die unwiderftehlich
nachziehend über den Abgrund hinfauft, und ein einzelner Wahnverblendeter ift’s,
der da dem Phantom in tollem Ritte nachfetzt. In dem grofsen Gemälde Sirouy’s
blickt ein ganzes aufgeregtes Menfchengedränge zu der übel berufenen Göttin
empor, die es in der Höhe überfchwebt; fie wirft Kronen und Gefchmeide, Lor-
beerkränze und Gold unter die raffgierige Menge — Männer und Frauen, Vornehm
und Gering durcheinander — die fich unter einander ftofsen, drängen, niederwerfen,
um die gleifsenden, durch die Luft fliegenden Gaben zu erhafchen. Ift Henneberg’s
Compofition origineller und geiftvoller, fo können wir dem franzöfifchen Bilde,
wenn es auch mehr für die decorative Wirkung arrangirt erfcheint, eine glänzende
malerifche Wirkung nicht abfprechen.
Das Phantaftifche und Abenteuerliche mifcht fich überall der
franzöfıfchen Kunft bei; rein präparirt tritt es aber in einer eigenen Gruppe von
Bildern in ganz verwunderlicher Form auf. Es find feltfame Nachzügler der
an