70 Dr. Jofef Bayer.
er fpielt da nach Virtuofenart immer nur auf einer Saite. In naher Beziehung zu
Stevens ftehen die Damenbilder von Guftav de Jonghe und die Kinderbilder
von Jean Verhas, die einen wie die andern ganz im Sinne falonfähiger Malerei
mit feinem, gefchmackvollem Pinfel und dabei mit juft fo viel Empfindung }
als es diefe zunächft auf die Eleganz gerichtete Vor tragsweife verträgt.
Jenes uns Deutfchen fo vertraute Genre, welches mit gemüthlichem Antheil
und mit Humor ins Volksleben greift, war auf der be] gifchen Ausftellung fchwacl
vertreten. Das vlämifche Dorf fpielt mehr als Profpe&t in der Landfch: aft eine
Rolle, als dafs im Figurenfach fein Lebensinhalt zu einer vielfeitigeren Darftellun
käme. Nur Adolf Dillens ift hier wieder in gebührenden Ehren zu nennen, de
feine Volksfcenen aus Flandern und Zeland fchon früher einen Namen gemacht;
fein „Werber“ und „die Kirmes in Süd Beveland*“ zeigen frifchen ihr und
lebendige Auffaffung. — Mehr nur malerifch intereffant durch woh lgeftimmte
Farben- und Beleuchtungswirkung find die Interieurs, bei denen das genre
artige Sujet fich der Ge fammthaltung unterordnet, eine von mehreren Belgiern
mit Vorliebe betriebene Gattung. Hieher gehören die Bilder von Victor La gye,
unter denen „die Hexe“ al s Arzneibereiterin aufser dem wohlabgewogenen male-
rifchen Effect auch durch Behandlung der Figuren intereffirt; bei Henri de
Brackeleer („Der Geburtstag der Grofsmutter“, „Ein Künftlleratelier“) ift es
faft nur die treffliche coloriftifche Haltung, nicht der figurale Inhalt, der uns da
anzieht. In einem fehr guten Interieur von David de Noter find die Figuren
nach altem Malerbrauch von anderer Hand, nämlich von Jules Goupil hinzu-
na
Einzelfiguren in gröfserem Format. meift malerifch geftellte
Modellftudien ohne weiteren geiftigen Inhalt, waren bei den Belgiern feit jeher
beliebt: „Das Mädchen bei der Toileite“ und „Die junge Sclavin, ihre Herrin
erwartend“ von Charles Hermans gehören bei ihren tec hnifchen V orzügen
völlig hieher. Y olkstypen, fowohl in einzelnen Studien wie in gröfsere
Gruppen, find gleichfalls beliebt, werden aber meiflens nur äufserlich nach ihrem
coloriftifchen We rthe abgefchätzt. Eugen Smits hat einer folchen Colledtion
von Typen, die erin einem gröfseren Bilde „Roma“ zufammentftellt, bei allem
gediegenen Ernft der Ausführung auch in malerifchem Sinne nicht viel abge-
wonnen. Beffer gelang ihm diefs bei dem „italienifchen Fenfter“ und „der Wahr-
fagerin“. Slingeneyer bietet auch in diefer Richtung Treffliches in feinem
„Fellahmädchen“ und der „Strafsenfcene in Tunis“, fowie in der „Orangenve
käuferin“. „Die junge Hexe“ von Jean Fr. Portae s nähert fich in dem kühnen
phantaftifchen Zug und der coloriftifchen Ausführung der franzöfffchen Effedt
malerei, während Jofef Dyckman („Der blinde Mann“, „Alte betende Frau“)
mit fein detaillirter Behandlung eine weiche gemüthliche Auffaffung nach germa-
iifcher Sinnesart verbindet, die ftark an die fermert ste Stimmung des Befchauers
fich wendet.
Der Lebenskreis, dendas belgifche Genre durchmifst, ift nach diefer rafchen
Umfchau in den Ausftellungsfälen nicht grofs. Zunächft ift, wie wir fahen, das
Augenmerk auf die malerifche Wirkung gerichtet. Die gute Gefellfchaft tritt im
Bilde mehr in gleichgiltigen Epifoden, als in bezeichnenden Situationen auf;
dabei findet fich mehr Eleganz in der Färbung, als Grazie in der Stellung und
Bewegung. Ebenfo epifodifch ift ferner das Volksleben behandelt, ohne jene
Austiefung durch Gemüth oder Humor, die wir hier zu erwarten gewohnt find
Der belgifche Pinfel befafst fich im Genrefach nicht fonderlich mit Seelenmalerei.
Das Strafsenleben tritt zunächft nach feiner malerifchen Aufsenfeite
nicht in den charakteriftifchen Momenten auf. Die Atelierftudie tritt in den
häufigen Einzelfiguren etwas vordringlich in die Kunft. Diefs beiläufig drängt
fich zunächft der zufammenfaffenden Betrachtung auf, fo fehr auch einzelne
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Erfcheinungen über diefes Niveau hinausgehen mögen. Im Allgemeinen aber
darf man wohl fagen: wenn bis vor Kurzem die Gefchichtsmalerei der belgifchen
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