Full text: Bildende Kunst der Gegenwart (Heft 75)

      
   
   
   
    
   
   
   
    
   
   
   
    
  
  
  
  
     
    
   
  
   
  
   
  
   
  
   
    
    
   
  
     
  
   
    
   
   
  
    
  
  
    
    
   
   
   
    
   
    
  
     
     
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Technik ein höheres Ziel wies, fo geht die Genremalerei dort grofsentheils in 
dem technifchen Ziele auf. Sie ift zunächfit eine Domäne der malerifchen Ge- 
fchicklichkeit. 
Die bedeutenden Ausnahmen hievon find meift von älterem Datum. Nur 
feltener erhebt fich das Genre zu einem inhaltsreicheren Situationsbild, das 
durch Energie und humoriftifche Schärfe der Charakteriftik oder durch Ernft des 
Gefühles, durch flimmungsvolle Haltung über die gewöhnlichere Behandlung 
diefer Gattung hinausginge. Das vorzügliche Bild von Jofef Lies, „Der Feind 
naht, ift eben nicht mehr das Werk eines lebenden Meifters. Franz Vinck’s 
„Einzug eines Schützenkönigs“ übertrug die achaifrende Manier des Henri Leys 
mit grofsem Gefchicke auf eine heitere Epifode des guten altniederländifchen 
Bürgerlebens. Gegenüber diefen hellen farbigen Bildern breitet fich ein tiefer 
Ernft über Conftantin Meunier’s „Begräbnifs eines Trappiften“ aus. Die Stim- 
mung diefes Bildes ift in malerifchem wie in poetifchem Sinne gleich bedeutfam. 
Intereffant ift es, die Belgier fich einmal auch zur Allegorie rückwenden 
zu fehen, in welcher einft die flandrifche Kunft fich fo vielfach erging. Man weifs, 
wie fiegreich das üppige Fleifch von Rubens auch in diefes abftracte Kunftgebiet 
eindrang. So kühn geht Eugen Smits in feinem „Gang der Jahreszeiten“ aller- 
dings nicht ins Zeug; gleichwohl weht uns aus diefem edel componirten Bilde, 
was Umriffe und Stellung der Figuren, ja auch die coloriftifche Haltung betrifft, 
fo ein Hauch aus dem XVI. Jahrhunderte der flandrifchen Kunft an. Wenn auch 
nicht an das Gröfste, fo gemahnt uns das Bild doch an das Gute jener Zeit. 
Die religiöfe Hiftorie ift durch eine fehr würdig gehaltene Mater dolorofa 
von Meunier ziemlich vereinzeltvertreten; wo bringt fonft Belgien feiner vielen 
Katholicismus in der Kunft unter? Wie Anton Jofef Wiertz in feiner ungeheue- 
ren Leinwand den Engelfturz darftellt und die biblifche Mythe nach feiner Weife 
ins ungeheuerlich Phantaftifche emportreibt, fteht diefem Berichte nicht an, weiter 
auseinanderzufetzen. Es war wohllehrreich, jenes rieffige Gemälde und die Photo- 
graphienfammlung nach den Hauptwerken von Wiertz auf unferer Weltausftel- 
lung zu finden — übrigens gehört aber die nähere Beleuchtung diefes bereits 
1803 verftorbenen Malers, der fich felbft eigenfinnig weit ab vom Wege ftellte 
und bei dem Genialität und mit Methode betriebener Wahnfinn hart aneinandeı 
grenzen, fchon völlig der Kunftgefchichte an. 
Sowie die belgifche Gefchichtsmalerei fich an der porträtartigen Auffaffung 
kräftigt und von ihr Beftimmtheit und Lebensfülle leiht, fo erhebt fich das Por- 
trät felbft in fo vornehmer Nachbarfchaft zu einer edleren und bedeutfameren 
Gattung. Das Erbe und der Kunftfegen der alten flanderifchen Maler fcheint da 
noch immer nachzuwirken; wenn uns auch bei Gallait in dem Porträt des 
Staatsminifters Dumortier und jenem des Herrn Saint - Paul de Singay ganz 
moderne Menfchen entgegentreten, fo find fie doch mit jener malerifchen Beob- 
achtungsgabe erfafst, die fich in Flandern und Holland von Van Dyk, Frans 
Hals etc., wenn auch mit fehr veränderter Technik bis heute in gerader Linie ver- 
erbt zu haben fcheint. Noch immer find die hervorragenden Belgier die Maler 
des Individuellen, aber mehr in feiner ruhigen Erfcheinung, als in feiner adtiven 
Aeufserung; daher der eminente Beruf zum Porträt. Hinter den Franzofen mögen 
fie hierin an Verve und geiftreich kühner Behandlung, nicht aber an beftimmter 
Kraft der Individualifirung zurückftehen; die Perfönlichkeit tritt klar und voll 
aus dem Bilde in felbftredender Gegenwart. Alexander Robe rt’s Porträt des 
dänifchen Malers Hägelftein, de Keyfer’s Porträt des Sir John Murray Naesmyth 
und andere wären unter den wenigen, aber trefflichen Bildniffen in den belgifchen 
Sälen da zunächft zu nennen. 
In der Landfchaft der Belgier ift es auch wieder die Technik in beffe- 
rem Sinne, welche die Wirkung meiftens entfcheidet. Ein klarer und fcharfer 
Sinn für locale Motive und Naturerfcheinungen, die bei ihrer nicht allzugrofsen 
Mannigfaltigkeit um fo genauer ftudirt werden können — ftatt der eigentlichen 
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