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Die Stickerei und die Spitzen. od
artigen Naturgegenftänden. Kunftforfcher haben aber aus der Vergleichung der
chinefifchen Ornamente von verfchiedenen Zeitaltern ihrer Gefchichte nachge-
wiefen, dafs der Stil ihrer Ornamentik eben folche Veränderungen durchgemacht
hat, wie der anderer Völker und dafs erhaltene Kunftfachen aus alten Zeiten, die
chinefifchen Antiquitäten, eine weit gefälligere Ornamentik zeigen, die am meiften
Aehnlichkeit mit der phantafievollen reichen Ornamentik der Indier hat. Die
jetzigen Ausfchreitungen der Ornamente, der chinefifche Stil, ift daher mit der bei
uns überwundenen Rococcozeit oder dem Barockftil zu vergleichen, der als eine
Ausfchreitung und Verzerrung der edlen Renaiffance angefehen werden kann.
Was die Wahl der Farben betrifft, fo herrfchen die hellen und kräftigen
Hauptfarben von Roth, Gelb und Blau vor, die verblafsten und die verdunkelten
Farben, fowie das farblofe Schwarz und das fchmutzige Grau, welches fich in
dem Abendlande fo breit macht, find auf den chinefifchen Stickereien faft ganz
vermieden. Die Zufammenftellung der Farben ift immer harmonifch und wirkfam.
Die vorzüglichen Farbftoffe und der Glanz der Seide, deren fie fich zu ihren
Stickereien bedienen, begünftigen hier den Gefchmack der Stickerin. Gold und
Silber ift immer nur als Farbe den anderen Farben eingefügt und dort gebraucht,
wo man das fchöne Gelb der chinefifchen Seide noch nicht für kräftig genug hält,
und den Glanz erhöhen will. Spiegelndes Gold, wie es der Goldlahn und die
Goldflitterchen bilden, kommt auf chinefifchen Stickereien nur felten vor.
Die Stickerei der Japanefen ift nach der Technik der Zeichnung und
Farbe jener der Chinefen verwandt, aber im Allgemeinen weniger kunftvoll und
weniger mühevoll gearbeitet. Das Ornament ift leichter und gefäl iger, meift nur
auf einer Seite des Stoffes vollkommen ausgeführt, alfo mit einer Lichtfeite und
Kehrfeite. Auch in den japanefifchen Stickereien herrfchen die Nachahmungen
der Vögel und Blumen vor. Auf der Wiener Ausftellung war der mit Farben
prangende Hahn im Kreife der Hühner und Küchlein, Weizenkörner aufpickend
zahlreich dargeftellt. Die Zeichnungen der Japanefen find aber reiner, als die der
Chinefen ünd unferem Auge gefälliger. Die Beimengung der grotesken Figuren
von Drachen, anderen Ungeheuern und von Symbolen, welche ınfer Auge
anwidern, fehlt faft gänzlich.
Wenn im Orient im Allgemeinen die Stickerei fehr verbreitet ift, da die
leichten Gewänder, die Zelte und andere leichte Schutzmittel gegen die läftige
Sonne reichlichen Stoff und Anregung zur Verzierung boten, fokann man Indien
die eigentliche Heimat derfelben nennen.
Durch die Engländer wurden denn auch auf der Weltausftellung 1873 fehr
fchöne Stickereien aus Indien herbeigebracht, darunter kunftvolle Shawls und
Gewänder, befonders in Goldftickerei. Als die koftbarften und fchönften mögen
jene angefehen werden, wo das Gold den Grund der Stickerei bi
Zeichnung durch verfchiedenfarbige Seide ausgeführt ift, wie das Gewand, das
die Figur des Nabob in feinem gefchmückten Zelte trug. Auch andere Arten von
Buntftickereien waren aus Indien ausgeftellt, die von dem hohen Stande der
Stickerei bei einem Volke zeugen, das an Kunftfertigkeit und Kunftfinn, an
Phantafie und feinem Gefühle fürFarbenharmonie den meiften anderen vorangeht
aber diefe Ausftellung ftand jenen in London 1862 und in Paris 1867 nach, und
liefs eher auf einen Rückfchritt als Auffchwung fchliefsen.
Die Engländer find feit längerer Zeit Herren des fchönen Indien und die
Induftrie des Volkes fteht unter ihrem Schutze. Man hätte nun erwarten follen,
dafs die Engländer von den muftergiltigen Arbeiten und der hohen Kunftinduftrie
des Volkes, mit dem fie in regftem Verkehre ftehen, den gröfsten Nutzen ziehen
würden, indem fie nach diefen Muftern ihre eigene Induftrie künftlerifch veredelten,
dafs fie namentlich ihren Farbenfinn an den indifchen Muftern ausbilden, und die
reiche Ornamentik zur Bereicherung der eigenen Ornamentik in allen Kunft-
3elehrung
ldet, und die
gewerben ausnützen werden; und es fehlte auch nicht an zweckmäfsiger
dazu durch Kunftforfcher, welche in fehr werthvollen Werken diefe
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