14 Jakob Falke.
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Phantafie hatte, durchaus bunten und gemifchten Charakter. Da gab es vor
treffliche Imitationen und freie Erweiterungen indifcher und japanifcher Art;
da gab es Gefäfse und Geräthe in fpätantikem Stil, zu denen insbefondere der
fchon oben erwähnte Hildesheimer Silberfund angeregt hatte; da gab es reizende
Arbeiten in reiner Renaiffance mit Laubwindungen, die auf das Zierlichfte durch-
gebildet und ausgearbeitet waren; da gab es endlich Gegenftände in der mehr
barocken oder fchweren Art des XVII. Jahrhunderts, insbefondere im Stil
Louis XII, der fich neben Louis XVI. in Mode behauptet. ©
IN Diefer formellen Mannigfaltigkeit der Stilarten entfprach ein gleicher
Reichthum an verfchiedenen Decorations-und Behandlungsweifen der Oberfläche.
| Jegliche Technik war hier vertreten, wie fie nur am Silber vorkommt und an
Il einem Stück, einem Cabinetkaften, der als Paradeftück der Ausftellung fungirte,
|| foyar allemiteinander. Auf diefe zweite malerifche oder farbige Seite der Silber-
| arbeiten kommen wir noch fpäter ausführlich zu fprechen.
| | Ein zweiter franzöfifcher Silberarbeiter, Emile Philippe in Paris, deffen
Kl IN Stärke freilich in Schmuckfachen befteht, kommt mit einigen Gegenftänden, ins-
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befondere Caffetten, Salzfäffern und kleineren Geräthen für den Tifch auch hier
in Betracht. Diefe Arbeiten, obwohl gering in ihren Dimenfionen, ftellen fich
auf rein künftlerifchen Standpunkt. In Zeichnung wie in Ausführung höchft
vollendet, reizend in der Erfindung, mit ihren Motiven in der beften Renaiffance
ruhend, find fie fämmtlich kleine Cabinetftücke.
| Mit einem ähnlichen Standpunkt und ähnlichen Zielen fcheidet fich auch
In) | ein öfterreichifcher Fabrikant aus der Menge feiner induftriellen Genoffen aus.
Wir meinenH. Ratzersdorferin Wien. Seine Gegenftände: Pocale, Kryftall-
gefäfse, Caffetten und Schmuckkäftchen, Uhren, Schalen, reich verzierte Waffen-
ftücke follen mehr dem Schmuck, dem feinften Luxus, als dem eigentlichen
Gebrauche dienen. In den Formen fich an die Motive der Renaiffance, in ihren
il verfchiedenen Weifen vom XVI. wie vom XVII. Jahrhundert haltend, überdecken
| fie fich mit aufserordentlich reichem Schmuck fowohl in figürlichemund ornamen-
all talem Relief wie mit translucidem Schmelz und Emailmalereien. Auch in der
IN If Vergoldung nehmen fie gewöhnlich alten Charakter an.
All | Das Befondere, was diefe einzelnen Fabrikanten individuell anftreben,
il das erfcheint wie nationale Tendenz in der ganzen ruffifchen Gold-
I 9 (chmiedekunft. Wenigftens zeigte fie fich fo auf unferer Weltausftellung,
wohin allerdings wohl mit Vorliebe und Abficht das Eigenthümliche und Befon-
dere gefendet war. Diefe eigenthümliche Seite der fehr reich vertretenen rufh-
fchen Goldfchmiedekunft ift aber nur fcheinbar echt und nur fcheinbar national;
| es ift eine ganz moderne, bewufste und abfichtliche Einführung von küntftlerifchen
oder ornamentalen Motiven, die allerdings national find, aber einem ganz anderen
Zweige der Kunft oder der Induftrie angehören. Sie treten daher ebenfo fehr
gemifcht, wie hier in der Goldfchmiedekunft am unrechten Orte auf.
Was Rufsland an wirklich nationaler Kunft fich bewahrt, das ift der Holz-
bau feiner Wohnhäufer fammt deren Verzierung mit bemalten, aus Holz aus-
gefägten Ornamenten,. So einfach diefe in ihrer geometrifchen Art aus geraden
Linien mit Durchbrechungen zu fein fcheinen, fo haben fie doch ihr Eigenthüm-
liches, welches fich gerade fo in anderen Ländern nicht wieder findet. Auch das
Holzgeräth des Haufes bietet viel Eigenes in derfelben Art. Diefes Ornament
’ nun und diefe Formen des Geräths haben fich moderne Beftrebungen in Rufsland
erkoren, um daraus einen nationalen Kunftftil zu fchaffen. Man fieht leicht, dafs
das ein ziemlich unfruchtbarer, unbefriedigender, einfeitiger und verkehrter Ver- &
fuch ift, wenn man die höchft einfachen Formen und Motive aus ihrem fehr
befchränkten Material auf alle Zweige der Kunftinduftrie ausdehnen will, zumal
auf Zweige, die wie die Goldfchmiedekunft Feineres, Befferes, Reicheres zulaffen
| | und verlangen.
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