8 Allgemeiner Teil.
Spektrums gehende selektive sein kann, so wächst die Schwierigkeit,
sobald versucht wird, das Auftreten kürzerer Absorptionsbanden mit
der chemischen Konstitution in eine klare Beziehung zu bringen. Schon
über das Wesen der Valenz wie auch der Doppelbindungen ist keine
allgemein verwertbare Vorstellung vorhanden, wenn auch zu hoffen
steht, daß mit der fortschreitenden Einsicht in den Bau des Atoms
auch diese Fragen gelöst werden.
Gute und auch das Bedürfnis der Chemie berücksichtigende Betrach-
tungen liegen von J. Stark!) vor, welcher durch physikalische Be-
handlung der Frage nach der Struktur des Atoms die Valenzver-
hältnisse zu klären versucht. Der Vorgang der Absorption besteht in
der Aufnahme von Strahlungsenergie durch im Molekül enthaltene
Elektronen. Die Festigkeit der Bindung dieser Elektronen bestimmt
die Wellenlängen, welche absorbiert werden. Auch die chemische Valenz-
kraft wird Elektronen, d.h. ihren elektrischen Feldern zugeschrieben.
Hiermit ist ein Zusammenhang zwischen Valenzbetätigung bzw. Festig-
keit der Bindung und Absorption gegeben, wenn man die Valenzelek-
tronen als Absorptionselektronen ansieht (Stark): Selektive Absorption
ist an das Vorhandensein sogenannter gelockerter Valenzelektronen
gebunden. Tritt durch Substitution eine Verringerung der Energie
der Valenzelektronen ein, so rückt die Absorption nach langen Wellen
(Farbvertiefung). Wird das Elektron ganz befestigt, die Verbindung
also gesättigt, so finden sich selektive Absorption nur noch im
ultraroten Spektralgebiet (Absorption durch Atomgruppen im Mole-
kül):
Steht somit die Entwickelung zuverlässiger Theorien zwar noch im
Anfangsstadium, so muß doch anerkannt werden, daß durch die Er-
weiterung des Begriffes der Farbigkeit im Sinne der selektiven Ab-
sorption die Verständlichkeit der Erscheinungen ungemein gewonnen
hat. Es läßt sich die Ermittelung der Absorptionsbanden nicht
nur heute schon zur Kennzeichnung der gefärbten Verbindungen ver-
wenden, sondern es ist begründete Aussicht, daß sich allmählich
von der chemischen Seite aus durch quantitative Festlegung der
Abhängigkeit der Absorptionsbanden von der Konstitution der Ver-
bindungen noch vertiefte Gesetzmäßigkeiten begründen lassen. Von
der physikalischen Seite aus wird vielleicht die rechnerische Beziehung
durch Formeln ähnlich wie bei der Molekularrefraktion möglich werden.
Solchen Untersuchungen kann auch für die Farbstoffsynthese dereinst
ein großer Wert zukommen.
Es wird ferner verständlich, warum gerade die kondensierten aro-
matischen Kohlenwasserstoffe (Benzol, Naphthalin, Anthracen und die
verwandten heterocyelischen Verbindungen) als Muttersubstanzen für
Farbstoffe fast ausschließlich in Betracht kommen. Sie besitzen dank
ihrer Konstitution scharfe Absorptionsbanden im Ultraviolett, und der
Eintritt weiterer ungesättigter Gruppen bringt sofort Farbe hervor,
!) Die Prinzipien der Atomdynamik, Bd. I—III. S. Hirzel, Leipzig 1910—1915.
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