fahr, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Daß Pöppelmann
dieser Gefahr nicht verfiel, ist auch ein Zug seines Talents.
Wer an ihn denkt, dem steht ein einziges Bauwerk vor Augen: der
Zwinger in Dresden. Die Anlage ist Fragment, denn der Gesamtplan
sah weitere Höfe und Terrassen bis zur Elbe hinab vor; Sempers
Museumsbau schließt den einen ausgeführten Hof nun dort unge-
fähr ab, wo das Schloß stehen sollte. Dennoch ist der Zwinger ein
Wunderwerk deutscher Barock-Baukunst geworden. Bis vor kurzem
konnte es noch genossen werden; das weiche Steinmaterial hat
neuerdings aber eine sehr durchgreifende Restaurierung nötig ge-
macht, und diese ist so ausgefallen, daß manches vom Wesentlichen
vernichtetist. Denn unsere Zeit ist einfach außerstande, dieses phan-
tastisch reiche Barock Pöppelmanns und seines besten Helfers, des
bayrischen Bildhauers Balthasar Permoser, nachzuempfinden
and nachzuahmen. Es ist wieder einmal Anlaß zur Frage, ob es bes-
ser ist, durch Restaurierung den Geist auszutreiben oder das ge-
schichtlich Große bewußt zur Ruine werden zu lassen.
Der Zwinger ist ein rechteckiger, an den Schmalseiten halbkreis-
förmig tief ausgebuchteter Hof, der an drei Seiten — die vierte Seite
nimmt das Museum ein — von flachen Galerien mit hohen Bogen-
fenstern umzogen ist. Das gleichmäßige Tempo dieser Galerien un-
terbrechen zwei reich geschmückte Torbauten, die die Hauptachsen
bezeichnen, vier ebenso reich dekorierte erhöhte Pavillons an den
Schmalseiten und ein kühn geschweifter Mittelpavillon im west-
lichen Rund. Die Anlage ist das Endergebnis vieler Pläne; die Aus-
führung begann im Jahre 1711 und war im wesentlichen zu den Hof-
festlichkeiten im Jahre 1719 beendet. Der Grundriß ist einfach und
klar, die Durcharbeitung der einzelnen Bauteile kommt dem Phan-
tastischen nahe, das Ganze ist der herrlichste offene F estsaal, den
man sich vorstellen kann. Der Betrachter erlebt eine Stimmung, wie
sie in Deutschland sonst nur von einigen Bauwerken der Gotik ver-
mittelt wird. Die tektonischen Bauglieder sind umspielt von einem
wahren Schwall sich drängender Phantasiebildungen. Es ist dem
Auge gleichgültig, welchen praktischen Zweck diese Galerien und
Pavillons einst hatten, was diese Bäder, Grotten, Triumphbögen,
56