170 Erſter Theil. Viertes Buch.
11. Die mediciniſhe Schule Dieſe erklärt die „Hexerei“ als
eine ſubjective, aber thatſähli<e Einbildung vieler Jndividuen, here
vorgerufen dur den Gebrauch narkotiſher Mittel, wel<he in der Form
von Getränken und Salben (Herentrant und Herenfalbe) gebraucht wur-
den, wobei der Stechapfel eine große Rolle ſpielte, So Wuttke, R. Reuß,
Dr. Meyer 18821).
II. Die pHilofophifhe Schule Sie erklärt den Herenglau«
ben aus Hallucinationen, vißonären Zuſtänden, aus geiſtiger Ueberreizung
des Gehirns in Folge imaginärer Vorſtellungen oder aus thieriſhem
Magnetismus. Vertreter dieſer Schule find: Mar Perb, von Raumer,
Fiſcher, Dr. Sauter 1884, C. Binz 1885.
IV. Die juriftifhe Schule. Dieſe leitet die Entſtehung der
Hexenproceſſe aus dem mangelhaften Gericht2verfahren des ſogen. „J n-
quiſitions-Proceſſes“ her, nah welhem der Shuldbeweis
einzig und allein in dem Einge ſt ändniſſe des Beklagten geſucht und
gefunden wurde. Die Juriſten behandelten nämlih die Hexerei als ein
»crimen exceptums«, bei welchem jeder Verdächtige, ſofern irgend welche
Indicien gegen ihn waren, ſofort eingezogen und alsbald peinlih befragt,
d. h. gefoltert werden konnte. Dieſe Schule findet ihre Vertreter in:
Roßhirt, von Wächter, beide Juriſten; Soldan-Heppe, Franz Volk 1882,
Niehuß 1875, Paul M. Baumgarten 1883.
Auf den erſten Bli> leuchtet ein, daß dieſe 4 Syſteme weit ausein-
ander gehen, wiewohl ein jedes ein Körnhen Wahrheit enthält. Alle
dieſe Factoren haben bei den Hexenproceſſen ihre Rolle geſpielt. Allein
nur das vierte Syſtem reiht hin, um die Entſtehung des Hexenproceſſes
befriedigend zu erklären.
Die hiſtoriſche Schule hat jedenfalls darin Recht, daß der bis heute
no< niht erloſchene Volksglaube an Hexerei ſih an den heidniſchen Zau-
berglauben anlehnt und im Grunde nur eine Fortjegung defjelben ift.
Hingegen beſchränkt ſih die mediciniſhe und philoſophiſhe Schule darauf,
die Geneſis der geiſtigen Verirrung darzulegen, in Folge deren viele
Perſonen ſih ſelbſt für Zauberiſche, für Hexen, für mit dem Teufel
Buhlende gehalten und ausgegeben haben.
1) Der bekannte Arzt Wierus nennt lib. de lamiis, cap. XVII,
©. 224, Amfterd. Ausgabe von 1660, die verſchiedenen betäubenden Salben, Oele ıc.,
welche bereitet wurden aus: Lolium, faba inversa, opium, hyoscyamus, cicuta,
solanum furiosum, somnificum, mandragora, nymphea etc. — Voigt, Gemei-
nüßige Abhandlungen S. 151 berichtet, daß eine Marg. Bratenſh den Leuten
Bilſenöl auf die Schläfe fehmierte, was ſie von einem Doctor erlernt, der in
Sulzbach bei Gera Pfarrer war. Siehe Dr. Coftäs Abhandlung in Zeitſchrift
für deutſche Cultur 1856, S. 113 „Aberglaube in Krain“.