Full text: Der Hexenwahn vor und nach der Glaubensspaltung in Deutschland

  
  
172 Erſter Theil. Viertes Buch. 
Stadt Deutſchlands vor der Strafkammer ein Fall verhandelt, der großes 
Aufſehen erregte. Ein Dienſtmädchen war gegen einen Zahnarzt klagbar 
geworden wegen geſchlehtlihen Mißbrau<hs während der Narkoſe dur 
Lachgas bei einer Zahnoperation. Der Beklagte ließ dur<h Experte den 
Beweis führen, daß das Lachgas allerdings die ſubjective Vorſtellung 
und Empfindung von einer Copula hervorrufen könne, während dieſelbe 
objectiv nur eine Täuſchung ſei. Der Beklagte wurde freigeſprochen, und 
au< die Appellation des Staatsanwaltes zurü>gezogen , na<hdem die 
Klägerin ſelbſt ihre Anklage zurü>genommen Hatte. Ebenſo iſ es eine 
bekannte Thatſache, daß nervöſe und hyſteriſche Perſonen dur<h Träume 
ſo lebhaft in die Vorſtellung des Fliegens verſezt werden, daß fie an 
die Wirklichkeit zu glauben verſucht ſind. Die Fortbewegung geſchieht mit 
den Füßen in ähnlicher Art, wie beim Schwimmen, nur mit dem Unter- 
ſchiede, daß die Bewegung hier in horizontaler, dort in verticaler Lage 
geſchieht. Entgegenſtehende Hinderniſſe, als Thurm, Haus, Baum 2c. 
werden durch ſteigenden Aufflug überwunden, wobei ein beſonders behag- 
lihes Gefühl die Seele durdfrömt. Solche in ihrer Art ſehr lebhafte 
Traumvorſtellungen dürften ſehr häufig geweſen ſein in jenen ſehr aufs 
geregten Zeiten des 30jährigen Krieges und die Vorſtellung von fliegen- 
den Hexen ebenſo befördert und vervielfältigt haben, mwie der Gebraud) 
narfotifher Mittel die imaginären Quftvorftellungen und Buhlſchaften 
mit dem Satan hervorgerufen hat !). 
Doch im Grunde genommen können dieſe drei erſten Schulen uns 
die Entſtehung der Hexenproceſſe niht erklären. Sie beſchränken fi 
darauf, entweder den Glauben an die Hexen im Allgemeinen zu con- 
ſtatiren (hiſtoriſche Schule) , oder die Entſtehung des Glaubens an die 
eigene Zauberkunſt zu erklären (mediciniſhe und philoſophiſhe Schule), 
ohne damit au< nur den geringſten Aufſhluß über die Kern= 
frage zu geben. Lebteren kann uns nur die juriſtiſhe Schule geben. 
Denn na< ihr wird ganz rihtig ein weſentlicher Unter- 
Thied gemadt zwiſhen Hexenglaube und Hexen-Proceß. Jener 
beſtand vor den Hexenproceſſen, wie er heute no< fortbeſteht 2). Er 
ging denſelben voraus und wird na< deren Aufhören noch fortdauern 
bis ans Ende der Zeiten. Die drei zuerſt genannten Syſteme beſchäfti- 
gen fi) mehr mit der Darlegung und Erklärung des Hexenwahns; 
das vierte allein geht auf die Cardinalfrage: „Wie entſtanden die 
1) G. Chriſtian Voigt, Gemeinnützige Abhandlungen. Leipzig 1792. S. 28 
bezeichnet ald Gebrauchsmittel: Mohnfaft und Tollkirfche. 
2) Ich befite eine fchöne Sammlung von Zeitungs:Ausfchnitten, welche 
die Beweiſe über Herenglauben, zum Theil in Gerichtäverhandlungen, ſeit den 
legten 10 Jahren enthalten,
	        
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