artete Erinnerung an die spätantike Dekoration, wie sie noch die karolingische Zeit gekannt hatte,
erhalten. Aber im ganzen herrschten die schlichten, kubisch klaren, festen Formen des Würfel:
kapitells, kantiger Platten und Schmiegen, der Rundstäbe, Kehlen und einfacher Karniese. Hier
aber (Tafel 14ff. und Abb. 4) tritt das Akanthuskapitell wieder auf, u. zw. in reiner, d. h. anti-
kischer Bildung; daneben stellen sich Tier- und Menschengestalten, Fabelwesen, mehrsträhnige
Ranken mit Palmetten- oder Lilienendungen ein, alles in eigentümlich streng stilisierter Form, oder
dann wieder — einzelne Tiere — seltsam formlos, weich, gedunsen. Es steht fest, daß diese
ganze Dekorationsweise aus Oberitalien stammt. Heinrich IV. hat hier in Mainz wie drüben in
Speier oberitalienische Bauleute arbeiten lassen. Oberitalienisch ist auch die Architektur der
großen Apsis (die Gliederung, die Blendensysteme, die Zwerg-Galerie) und des Kuppelturmes.
Aber da muß man sofort hinzusetzen: die Großräumigkeit, die freie, hohe, stolze Raumentfaltung
ist nicht oberitalienisch, sie ist vielmehr deutsch-rheinisch. Sie war offenbar ein lebendig fortwirken-
des Erbe der großen ottonischen Zeit. Heinrich IV. hat den Neubau des Domes nicht zu Ende
führen können: er starb darüber weg. Nach einer Unterbrechung hat dann Erzbischof Adalbert
die Arbeiten wieder aufgenommen, das Langhaus erbaut, den Ostbau beendet und die Gothard-
kapelle (die Hauskapelle des erzbischöflichen Palastes am Dom) errichtet, alles bis 1137. Das Lang-
haus (Tafel 7£.) ist eine von vornherein auf Einwölbung berechnete Anlage, entworfen im An-
schluß an das Langhaus des Speierer Doms mit einigen sinngemäßen, aber nicht ganz glücklichen
Änderungen (namentlich in der Anordnung der Blenden über den Arkaden des Mittelschiffs). Es
wirkt heute düster, weil man die stark zerstörten Fenster der Hochwand verkleinert hat, weil die
Decke zu dunkel bemalt ist, und weil die Seitenschiffe infolge der Erweiterung in gotischen Ka-
pellen zu viel Licht haben. Man wird aber dennoch die herrliche Behandlung der Kalksteinqua-
dern (der Ostbau Heinrichs IV. ist aus rotem Sandstein der Haardt errichtet) nicht übersehen, die
aufs genaueste zu Pfeilern und Bogen gefügt, wie für die Ewigkeit gegründet, sich schichten.
Schmuck gibt es hier nicht mehr: die oberitalienischen Arbeiter waren beim Tode des Kaisers,
der sie gerufen und bezahlt hatte, fortgezogen. Aber der monumentale Geist seines Baues, die
technische Vollendung, die wußte man festzuhalten. Wenn man sich von dem schlichten, aber
eben großartig monumentalen Charakter der Bauart dieser Zeit eine lebendige Vorstellung bilden
will, muß man die Gothardkapelle (Tafel 12 und 13) besuchen, die von störenden Umgestaltungen
fast ganz verschont geblieben ist (vollendet 1137).
L3° spätere zwölfte Jahrhundert brachte neues Unheil über den Dom: nach Zerstörungen und
Bränden entschloß sich Erzbischof Konrad I. zwischen 1190 und 1200 zu einer durchgreifen-
den Herstellung. Jetzt erst fiel der Westbau (Querhaus und Chor) des Willigis-Bardo-Domes,
den man bisher erhalten hatte, der aber gewiß höchst baufällig geworden war. An seine Stelle trat
ein großartiger Neubau (in rotem Mainsandstein, untermischt mit Kalkstein), ein gewölbtes Quer-
haus mit einem Kuppelturm über der Vierung, ein gewölbter kleeblattförmiger Chor mit zwei
kleineren Treppentürmen. Endlich werden jetzt auch die Gewölbe der Seitenschiffe und des Lang-
hauses, die offenbar durch Brand schwer beschädigt waren, weitgehend erneuert. So stand denn
der Dom bei der feierlichen Weihe des Jahres 1239 abermals fertig da. Wenn auch in diesen Bau-
teilen schon mannigfach der Spitzbogen auftritt, wenn auch die Gewölbe des Querhauses und des
Mittelschiffes über Rippen ausgeführt sind, so kann man doch den Bau nicht der eigentlichen
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