Full text: Der Mainzer Dom und seine Denkmäler (1. Band)

  
  
6. Kapitelle aus dem Umbau der Seitenschiffe 
St. Severi in Boppard. Daneben bemerkt man in den oberen Jüngeren Teilen neuere Formen, wie 
z.B. die prachtvollen Radrosen, die aus gereihten Bogen gebildeten Fensterumrahmungen (Tafel 5), 
Elemente, die etwa neu eingetretene Steinmetzen unmittelbar aus dem Westen mitgebracht 
haben mögen. Neben dem eigentlichen Bauschmuck sind dann noch einige Bogenfelder von Por: 
talen in diesem Zusammenhang zu nennen. Da ist zunächst das Marktportal (Tafel 19—22). Sein 
ornamentaler Schmuck verrät ebenso wie die Plastik des Bogenfeldes die Verwandtschaft mit der 
Kunst der nördlichen Rheinlande. Gerade hier ist die Ähnlichkeit mit entsprechenden Bauteilen 
an der Kirche St. Severi in Boppard groß. Und die linear schön und reich stilisierte Behandlung 
der Figuren, die doch schon gerundete und organisch verstandene Gliedmaßen, ein plastisch auf- 
liegendes und »bewegtes Gewand kennt, hat ihresgleichen da und dort am Rhein von Köln bis 
Mainz. Freilich leben die Figuren noch ganz in der Fläche. Aber ihre Erscheinung ist frisch und 
nicht unnatürlich, und ihr Gepräge nicht nur ebenso zierlich wie das des Laubwerkes in dem zu- 
gehörigen Rahmen und an den zugehörigen Kapitellen, sondern auch ebenso lebendig bewegt. 
Eine gewisse, irgendwie vermittelte Kenntnis der französischen Plastik um oder gegen 1200 ist 
denn auch hier Voraussetzung, für die Figuren so gut wie für die Dekoration, wenn sie sich auch 
nicht so deutlich bekundet wie beispielsweise in den herrlichen Skulpturen zu Andernach. Auch 
das etwas jüngere Bogenfeld des Leichhofportals (Tafel 23) hat Verwandte am ehesten noch am 
Niederrhein. Ebenso deutlich ist aber, daß hier das Byzantinische weit stärker hervortritt als im 
Bogenfeld des Marktportals. Zunächst in der Typenbildung, dann aber ebenso im Gewandstil. 
Das ist bekanntlich nichts Auffallendes: nicht nur die sächsische Plastik und Malerei, auch die 
rheinische Malerei dieser Zeit ist der byzantinischen Überlieferung tief verpflichtet. Dabei ist auch 
diese Plastik noch sehr wesentlich Flächenplastik, noch nicht Freiplastik im neuen Sinn der fran- 
zösischen Entwickelung. Zusammengenommen stellen die beiden Portalbogenfelder sehr bezeich- 
nende Proben der deutschen Plastik zwischen 1200 und 1215 (ungefähr) dar, die noch immer in 
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