stehen scheinen — beide haben Unendliches erlebt —, man kann doch nicht verkennen, daß der
eine, St. Martin (rechts), der herrischere, der andere, Bonifatius, der den knienden Kurfürsten mehr
schirmt als präsentiert, der weichere, empfindungsvollere ist: Kirchenfürst und Seelenhirte — und
in wie wahrhaft lebensvollen Gestalten!
D: Werkstatt Backoffens arbeitete über seinen Tod (1519) hinaus in Mainz weiter. Die aus-
einandergehenden Tendenzen dieser Zeit, die der große Meister noch hatte in seiner Kunst
vereinigen, bändigen und ausgleichen können, sprengten indessen die Schule. Wir finden Werke,
in denen die Renaissance deutlich das Übergewicht erlangt (Tafel 127—128). Daneben stehen
andere, die durchaus das Gepräge des sogenannten gotischen Barock tragen. Zu ihnen zählt auch,
wenn schon mit gewissen Einschränkungen, das Hatstein-Epitaph im Kreuzgang, das gewiß erst
im Anfang der 20er Jahre entstanden ist (Tafel 129ff.). Allein der Sieg der Renaissance ließ sich
nicht aufhalten: ihr Vertreter in Mainz ungefähr von 1530-1570 ist Dietrich Schro (Tafel 134—140).
Der Künstler ist keine ganz eindeutige Erscheinung. Vortrefflich sind seine Bildnisse: da weckt
offenbar die Aufgabe, der Zwang, ein Stück Wirklichkeit unbefangen und genau anzusehen, die
männlich-kraftvolle Natürlichkeit, die doch in seinem Wesen lag. Auch seine Gestaltenbildung
ist in solchen Fällen schlicht und sachlich, doch voll und ein wenig schwer. Sobald er aber
Historien komponiert, ist er unselbständig, ja er wird dann leicht eintönig, langweilig, sogar roh.
Verhältnismäßig frisch bewährt er sich im Ornament: anpassungsfähig macht er die Wandlungen
mit, die die Bewegung des Zeitgeschmacks fordert (vgl. Tafel 137-139). E. Strübing ist
geneigt, dem Dietrich Schro schon das Denkmal des Domherrn Konrad von Liebenstein in der
Memorie (Tafel 141) zuzuschreiben. Dann wäre seine Herkunft von der Backoffengefolgschaft
noch sicherer. Seine Meisterwerke in Mainz sind die beiden Kurfürstendenkmäler, die die alte
Aufgabe nun im Sinne der Renaissance zu lösen suchen (Tafel 134). In dem hoch gestreckten
Aufbau ist freilich noch deutlich ein gotisches Grundgefühl lebendig. Und die umrahmende
Architektur kann noch nicht recht ernst genommen werden. Aber die Figuren stehen doch ganz
beruhigt, lässig-fest da. Und ihre Erscheinung ist voll Lebensnähe und Lebensfülle. Merkwür-
digerweise mutet das jüngere Denkmal gotischer an als das ältere: die neue Formulierung, die
die Renaissance in den Niederlanden erfahren hatte, und der sich Schro hier anschloß — Alexander
Colin war seit 1558 in Heidelberg tätig —, war um einiges nordischer. Tief ist Schro überhaupt
nicht in das eigentliche Wesen der Renaissance eingedrungen. Und so ist denn das letzte Werk,
das der Dom von ihm besitzt, abermals altertümlicher. Vor allem aber ist es handwerklich derb
(Tafel 142). Offenbar erlahmte die Gestaltungskraft des Künstlers, da er nicht imstande war, das
Neue wirklich aufzunehmen und selbständig zu verarbeiten. Auch das Epitaph der Familie Brendel
von Homburg von Endres Wolff, das in Schros Gefolgschaft gehört, ist reichlich unerfreulich
(Tafel 145). Es zeigt dieselben Schwächen des Aufbaus und dieselben Derbheiten in der Form
wie die Spätkunst Schros selber.
N. begreift, daß dieses Schaffen neuer Anregungen von außen bedurfte, um weiter gedeihen
zu können. Sie kamen mit den Niederländern Georg und Johann Robyn und mit deren
Neffen Peter Osten. 1575 bestellt der Kurfürst Daniel Brendel von Homburg den Steinschneider
und Bildhauer Georg Robyn aus Ypern, der damals wahrscheinlich eben aus Italien zurück-
gekehrt war, zum Baumeister des Erzstifts. In der Anstellungsurkunde wird gesagt, daß er sich als
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