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feinen Kirchen nicht begnüge, er wolle den Dom und einige
andere Hauptlirchen haben, und e3 blieb nicht? übrig, ala auh
hierin nachzugeben. Mit abfichtlichem Gepränge wurde num der
fatholiiche Kultus in der Stadt, die ſeiner lange genug ent:
wöhnt war, wieder eingebürgert. Gab es auch, außer den
wenigen patriziſchen Familien, die fich noch zu der alten Kirche
hielten, Niemand unter den Einheimiſchen, der an ihm theil:
nahm, es füllten ſih die Kirchen doch mit vielen Fremden, die
der Reichstag und die Anweſenheit des Kaiſers in die Stadt
zog. Auch gab man ſich, nah einer Notiz in unſerem Tagebuche,
mit Erfolg Mühe, aus dem benachbarten Bayeriſchen, das nur
dur< den Leh von der Stadt getrennt war, andächtige Scharen
heranzuloden. Es gehörte zu dieſem Syſtem, daß alle höheren
Feſte mit möglichſt auffallendem Glanze gefeiert wurden. So
bewegte fih am Frohnleichnam ſeit langen Jahren zum erften
Male wieder eine Prozeſſion dur< die Straßen. Der Kaiſer,
der römiſche König, eine Menge der höchſten Herren aller
Nationen folgten ihr, und, was Wolrad wie alle Proteſtanten
am tiefſten kränkte, darunter auch Viele, die ſi< zu dem Evan-
gelium befannten. Schon tags vorher war Feierabend durd
die ftädtifche Polizei geboten worden, da die Prediger fid
entjchieden weigerten, daS Feiertagsgebot von ihren Kanzeln zu
verfündigen. in paar arme Weber, die fich unpafjende
Aeuperungen über den „heidnifchen” Pomp der Prozeſſion erlaubt
haben ſollen, wurden gefaßt und mit abſichtlicher Schauſtellung
in Ketten durch die Straßen geführt. Es geſchah nicht bloß,
wie das Tagebuch meint, nah der Maxime: dat veniam corvis,
vexat censura columbas, oder deutjch: die kleinen Diebe hängt
man, die großen läßt man laufen, ſondern es ſollten auch die
corvi damit eingeſhüchtert werden, die freilich {on ohnehin
Schre>en genug in den Gliedern hatten!
Dieſe Frohnleichnamsprozeſſion war auh ein Stück des
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