Erklärung der polaren Untersuchungsresultate. Kap. XV.
$ 108. Diese durch die Brenner’sche Untersuchungsmethode
erzielten Resultate bleiben: nun in der Tat immer dieselben, gleichviel,
wo die zweite (indifferente) Elektrode steht: der Strom mag in auf-
oder absteigender Richtung fliessen, der Erfolg der Reizung ist von
dem an dem erregbarsten Punkt des Nerven ruhenden Pole abhängig.
Vergleicht man nun die durch die Brenner’sche Methode am leben-
den Menschen erzielten Resultate mit den am isolirten Tiernerven
erhaltenen Ergebnissen der Physiologen, so ergiebt sich bis zu einem
gewissen Punkte eine vollkommene Uebereinstimmung. Am isolirten
Tiernerven tritt zuerst bei relativ geringster Stromesintensität die
Schliessungszuckung des aufsteigenden "Stromes auf, ihr schliesst sich
an 2) die Schliessungszuckung des absteigenden Stromes, 3) die Oefl-
nungszuckung des absteigenden Stromes, 4) endlich die Oeffnungs-
zuckung des aufsteigenden Stromes. Erinnert man sich nun, wie an
erster Stelle bei der polaren Reizmethode die Kathodenschliessungs-
zuckung eintrat, an vierter oder fünfter aber erst die Kathodenöffnungs-
zuckung, während Anodenschliessungs- und -öffnungszuckung die zweite
‚und dritte Stellung einnahmen, so kommt man unschwer zu dem
Resultat, dass die Reizerfolge des aufsteigenden Stromes denen der
Kathodenreizung, die des absteigenden Stromes denen der Anoden-
reizung entsprechen, Tatsachen, wie sie übrigens direkt durch die
Filehne’schen 5! Tierversuche (die Nerven von Fröschen und Kanin-
chen wurden unipolar, d. h. durch Anlegung nur einer Blektrode ge-
reizt, während die andere auf .diekeren Muskelmassen des Tieres
irgendwo ruhte) bewahrheitet und bestätigt worden sind.
Nur für die dritte der sogenannten Pflüger’schen Stufen bei
Anwendung maximaler Stromstärken findet sich im elektrotherapeu-
tischen Experiment kein Analogon für das physiologische Reizungs-
resultat, dass nämlich bei sehr starken aufsteigenden Strömen keine
Schliessungs-, sondern nur eine Oeffnungszuckung, bei sehr stärken ab-
steigenden Strömen dagegen nur Schliessungs- und gar keine oder nur
eine schwache Oeffnungszuckung zu erzielen ist. Am blossgelegten
Nerven ätherisirter Tiere erzielte Filehne nun auch bei polarer Rei-
zung und Anwendung höchster Stromstärken Resultate, wie sie durch-
aus den Experimenten der Physiologen entsprechen: beim Menschen
würden so bedeutende Stromesintensitäten erforderlich sein, um das
Gleiche an dem von gut leitendem Gewebe rings umgebenen Nerven
zu erzielen, dass man schon wegen der enormen Schmerzhaftigkeit
derartiger- Versuche darauf zu verzichten hat.
Auffallender noch als dieser scheinbare Widerspruch muss es aber