280 Kirchner, Apparate für Kinematik.
Neuere Autoren machen allerdings diese Unterscheidung nicht
mehr, indem sie den Zustand der Ruhe als einen speciellen Fall der
Bewegung betrachten; doch ist sie noch vielfach gebräuchlich. Dafür
jedoch bringen sie eine mehr fundamentale Anschauungsweise zur Gel-
tung, nämlich die, welche die Bewegung als solche und allein beob-
achtet, ohne Rücksicht zu nehmen weder auf Kräfte, welche sie hervor-
bringt, noch auf die Zeit, innerhalb welcher sie stattfindet. Diese
Lehre von der Bewegung allein wird Kinematik genannt.
Begnügte man sich nun, eine dem Zwecke entsprechende Qlassifi-
cation aufgestellt zu haben, so wäre freilich hierdurch wenig gewonnen,
und diese hätte kaum mehr als theoretischen Werth, denn die Erfah-
rung hat gezeigt, dass da, wo man lediglich an jener festgehalten,
keine nennenswerthen Früchte erzielt werden konnten.
Der rastlos fortschreitende Geist unseres Jahrhunderts ist den
nackten Büchertheorien abhold, und ein Scholastiker der alten Schule
würde heute kaum mehr zu irgend welcher Geltung gelangen können.
Sobald aber die Theorien der Bücher anfangen sich mit dem zu be-
schäftigen, was wirklich von praktischem Nutzen für das Menschen-
geschlecht ist, von dem Augenblicke an erst sind segensreiche Wir-
kungen zu erwarten.
Für die Mechanik ist das grösste Feld ihrer Anwendung und
Wirksamkeit im Maschinenbau zu suchen, und in ihm finden wir auch
das Gebiet, das die Kinematik zu beherrschen hat; es ist daher auch
erst die Anwendung der Kinematik auf den Maschinenbau gewesen,
die sie selbst zu einer hoch wichtigen Wissenschaft erhob.
Schon um die Zeit, als die erste polytechnische Schule zu Paris
gegründet wurde (1794), hat man versucht, System in die Lehre von
der Bewegung zu bringen; wir finden ein Schema von Lanz (1808)
vor, das anscheinend plausibel und einfach ist. Ampere war der Erste,
der dasselbe auf eine mehr wissenschaftliche Basis zu stellen unter-
nahm (1830). Ihm verdanken wir auch die Bezeichnung „Kinematik*
(von »lvnuo®, Bewegung). Er selbst jedoch verfolgte die Kinematik
nicht weiter, sondern munterte nur hierzu auf, und erst Willis giebt
uns in seinem 1841 zuerst erschienenen „Principles of Mechanism“
eine reiche. Auswahl von angewandten Problemen der Kinematik; doch
auch bei ihm bleiben die Grundprincipien der Bewegungslehre noch
sehr unentwickelt. Laboulaye 1849 und Morin 1851 thaten keinen
wesentlichen Schritt vorwärts, und selbst Redtenbacher 1857 brachte
keine Klarheit in die Bewegungsmechanismen. An ihn schliesst sich
Resal 1862 an, der eine Scheidung der Kinematik in reine und ange-
wandte versuchte.
Ein Grund, warum die Werke der vorgenannten Autoren nicht
von durchgreifendem Erfolge sein konnten, ist hauptsächlich darin zu
suchen, dass die Grundprineipien ihrer Systeme, die sich zumeist noch