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der Anlieger Rücksicht nimmt, weniger Widerspruch erfahren und daher um so
eher zur formellen Feststellung gebracht werden können. Man vermeide es aber, in
dieser Beziehung zu nachgiebig zu sein, und halte das Bedürfnis der Zukunft fest
im Auge. Man kann wohl mit Recht behaupten, es giebt in der gesamten Technik,
deren beredte Sprache ja die Zeichnung ist, kaum Linien von so einschneidender
Bedeutung, wie die Fluchtlinien es sind. Welche wirtschaftlichen und vermögens-
rechtlichen Interessen werden berührt durch einen einzigen, dem Laienauge so un-
scheinbar dünkenden einfachen Strich! Alle diese Erwägungen machen es eben für
den Planaufsteller so verführerisch, ein zu großes Gewicht auf die augenblicklichen
Besitzverhältnisse zu legen, und es darf wohl gesagt werden, daß die meisten Flucht-
linienpläne diesen Verhältnissen zu sehr Rechnung tragen auf Kosten des dauern-
den Nutzens und Erfolges.
Bei dieser Sachlage war es nur mit großer Freude zu begrüßen, daß Oberbürger-
meister Adickes zu Frankfurt a. M., unterstützt von hervorragenden Fachmännern,
wie Baumeister, Stübben u. a., den Versuch machte, durch besonders zu erlassende
gesetzliche Bestimmungen den Stadtverwaltungen über die oben geschilderten
Schwierigkeiten hinwegzuhelfen. Der im preußischen Herrenhause eingebrachte
sogenannte Adickessche Gesetzentwurf sollte den Stadtgemeinden das Recht geben,
größere Grundstückflächen auch außerhalb des eigentlichen Straßenlandes
im Wege der Enteignung zu erwerben (Zonenenteignung), was bekanntlich nach
dem preußischen Enteignungsrecht nicht möglich ist. Denn dieses Recht kennt nur
die Zwangserwerbung derjenigen Terrainflächen, welche durch die formell fest-
gestellten Fluchtlinienpläne zu künftigem Straßenlande bestimmt Sind, und weiterhin
nur die Erwerbung unbenutzbarer Restparzellen auf Antrag der Eigentümer.
Nach Durchführung des Adickesschen Vorschlages wären die Gemeinden in die
Lage versetzt worden, beliebig große Grundstücksflächen zu erwerben und für diese
Flächen, unbekümmert um entgegenstehende private Interessen, lediglich nach den
allgemeinen Gesichtspunkten des Verkehres, der Hygiene und des guten Geschmacks
durchaus zweckmäßige Bebauungspläne widerspruchslos aufzustellen. Weiterhin ent-
hält der Gesetzentwurf dann noch Vorschriften über die „Umlegung städtischer
Grundstücke“ ; diese Vorschriften sollten es ermöglichen, daß auch gegen den Willen
einzelner für ganze, durch den Fluchtlinienplan geschaffene Bauquartiere auf gesetz-
lichem Wege eine Umlegung oder Zusammenlegung von privaten Grundstücken zum
Zwecke besserer Bebaubarkeit vorgenommen werden kann, in ähnlicher Weise, wie
dies mit Hilfe der preußischen Gesetzgebung für die bessere Bewirtschaftung der
ländlichen Grundstücke bereits zur Ausführung gebracht wurde. Man wollte,
bei gleichmäßiger Berücksichtigung der Interessen jedes einzelnen
Beteiligten, die sämtlichen Grundstücke ihrer Begrenzung nach viel besser zur
Bebauung geeignet machen, als dies nach Lage der Grundstücksgrenzen zu den fest-
gestellten Fluchtlinien früher möglich gewesen wäre. Als ein Beispiel für eine solche
Umlegung von Baugrundstücken sei in Fig. 15 die Abbildung eines für eine selb-
ständige Bebauung nicht geeigneten Baublockes vor und nach der Umlegung gegeben.
Das Beispiel ist der Stübbenschen Schrift (22. Lieferung des „Handbuches der
Hygiene‘) „Hygiene des Städtehaues“ (8. 489) entlehnt.. Zu den Plänen ist. zu
bemerken, daß die kleinen Parzellen D, E und C den benachbarten größeren Grund-
stücken V, XIII und IV zugeteilt worden sind.
Als ein weiteres Beispiel für eine, wenn auch in wesentlich geringerem Um-
fange geplante Umlegung einzelner Grundstücksteile diene Fig. 16, aus einem Teile
des neuen südlichen Bebauungsplanes für die Stadt Halle herrührend. Sie wurde
entworfen, um verschiedene Grundstücksbesitzer zur Zurücknahme ihrer Einsprüche
gegen den Plan zu bewegen, scheiterte aber. obgleich doch alle von ihr betroffenen
Genzmer, Städt. Straßen. ı. 3