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die Gemeinde gerechtfertigter erscheinen müßte. Es trägt wohl das zu starre
Festhalten an der römischen Anschauung von der Unverletzlichkeit des Privateigen-
tums die Schuld an diesen Zuständen*). Genug, Fluchtlinienverbesserungen in alten
Stadtteilen sind in der Regel äußerst kostspielige Maßregeln. Beispielsweise mag
angeführt sein, daß die in Fig. 20 dargestellte Fluchtlinien-Festsetzung für den Tref-
punkt der Straßen „Kleinschmieden“‘, „Große Ulrichstraße* und „Große Steinstraße* in
Halle a. $., deren Durchführung teils im Wege der Enteignung, teils im Wege der
freien Vereinbarung erzielt wurde, der Stadtgemeinde die verhältnismäßig ungeheuere
Summe von nahezu 400000 Mark gekostet hat. Man erkennt auf den ersten Blick
die Wertsteigerung der meisten fluchtlinienmäßig angeschnittenen Grundstücke durch
die Vergrößerung der Trottoirbreiten und die dadurch geschaffene bessere Zugäng-
lichkeit der Schaufenster für das Publikum. Nichtsdestoweniger mußte die Stadt
die oben erwähnte Summe den angeblich Betroffenen nach Maßgabe der bestehen-
den Gesetze als „Entschädigung“ bezahlen.
Bei Straßendurchbrüchen, die in Rücksicht auf den Verkehr und gleichzeitig
im Interesse der Hygiene unternommen zu werden pflegen, treten dieselben Ver-
hältnisse ein.
Unter diesen Umständen kann es nicht verwunderlich erscheinen, daß in unseren
deutschen Städten Straßendurchbrüche und sonstige durchgreifende Maßregeln zur
Sanierung älterer Stadtteile nicht in dem Maße zur Ausführung gelangen, wie in
anderen Ländern, wo die Gesetzgebung diesen Dingen wohlwollender gegenübersteht.
Es mag hier nur an die Umgestaltung des alten Paris durch Hausmann auf Grund
der mit Gesetzeskraft versehenen Verordnung Napoleon III. vom 26. März 1852 **),
dann an die Schaffung der prächtigen Brüsseler Straßen, bei welchen sogar, dank
der Bestimmungen über die Zonenenteignung im belgischen Einteignungsgesetz vom
15.November 1876, ein glänzender finanzieller Erfolg zu verzeichnen war, und endlich
an die geradezu erstaunlichen jüngsten Ausführungen dieser Art in einer Anzahl
von italienischen Städten, wie Neapel, Palermo, Rom und Florenz, erinnert werden ***)
Namentlich in Neapel sind es große ausgedehnte Stadtteile, welche man durch Ent-
eignung in den Besitz der Gemeinde gebracht hat, um hier nach Niederlegung der
vorhandenen, allen Regeln der Gesundheitslehre geradezu hohnsprechendeny) Bau-
lichkeiten neue breite Straßen mit modernen, den hygienischen Anforderungen ge-
nügenden Häusern anzulegen. Die Summen, welche die genannten italienischen
Städte und der Staat für diese Sanierungen (Risanamento genannt) aufzuwenden haben,
sind ganz gewaltige. So kostet beispielsweise der Umbau eines Teiles des inneren
Florenz nicht weniger als 9 Millionen Lire, wovon nur 2,5 Millionen an Rückein-
nahmen zu erwarten sind. — Wenn nun auch zugegeben werden mag, daß diese Bauten
vielleicht über die finanziellen Kräfte der genannten Städte hinausgehen, so ist damit
noch keineswegs gesagt, daß sie ganz hätten unterbleiben sollen. Vielmehr ist auch
für unsere Städte eine Gesetzgebung auf das lebhafteste zu erstreben, welche die
Ausführung ähnlicher Sanierungsmaßregeln ermöglicht, wie sie in Italien jetzt im
Werke sind. Der oben erwähnte Adickessche Gesetzentwurf hätte in vollem Maße
die erforderliche Handhabe hierzu geboten; um so bedauerlicher ist es, daß er ab-
gelehnt worden ist! Ohne derartige gesetzliche Regelung der Materie ist es aber
sehr schwer und sehr kostspielig, wirksame Sanierungsmaßregeln zu treffen. Als
*) Siehe: Genzmer, E. Anlage einer inneren Ringstraße zu Halle a. S. Deutsche
Bauz. 1896, 8. 33 ff.
**) Siehe: Meyn. Stadterweiterungen in rechtlicher Beziehung. Berlin 1892. S. 45.
***) Siehe: Stübben. Vortrag über die bauliche Umgestaltung der Städte Neapel, Palermo,
Rom und Florenz. Deutsche Bauz. 1895, S. 50.
f) Siehe: Weyl, Th. Die Assanierung Neapels. Reiseskizzen. Braunschweig 1894.