Mondesfichel hing am Himmel, und aus der Tiefe fliegen Dünfte. Die
Rede tam natürlich auf die Weiße Frau von Orlamünde, wie ſie im
Berliner Könissfhloß, zu Weimar und anderwärts bis in die neueſte
Zeit unzweifelhaft geſehen wurde. Und bier im Angeſicht der alten
Mauern, die fie bewohnt hatte, erzählte uns die Tante etwa die folgende
Legende:
„Vor alten grauen Zeiten, als in deutſchen Landen noch die Fauſt regierte,
lebte in jenem Schloſſe eine junge verwitwete Gräfin mit zwei kleinen
Knaben, deren Vormund der junge ritterliche Burggraf Friedrih von
Hohenzollern war. Der kam bisweilen angeritten, um nach ſeinen Mündeln
zu ſehen, und weil er ein gar ſtattlicher Herr war, von edler Sitte und voll
Achtung für die Frauen, \o geſchah es, daß die Gräfin ihn ſehr lieb gewann.
Wenn er daher na< Orlamünde kam, bezeigte ſie ſich fo freundlich und
demütig gegen ihn, daß fie auch fein Herz gewann, und er fie gar zu gern
zur Frau genommen hätte. Er war aber ein guter und getreuer Sohn,
und da er merkte, daß feine Eltern gegen die Verbindung waren, fo {wieg
er fill und wollte warten, bis die verehrten Alten anderen Sinnes würden.
So verlief ein Jahr nah dem anderen. Der Graf blieb ſumm und dem
Anſchein nach \o kalt wie ein Marmorſtein gegen die {öne Witwe, die er
doc< von Herzen liebte.
Da hörte die tiefbetrübte Frau von einem Mönch, der ihr Vertrauter
und in ihren Geſchäften auf dem Hohenzollern geweſen war, daß der junge
Graf geäußert habe: Die Gräfin Orlamünde ſei die {önſte Blume in
deutſchen Gauen; ſolange ſh niht vier Augen {lö}en, könne er fie
aber nicht in ſeine Krone flechten. Damit mochte er ſeine Eltern gemeint
haben, die Gräfin aber deutete die Rede auf ihre Kinder. Da fuhr der
Satan in ihr Herz, daß fie diefelben heimlich erwürgte. Sie beweinte ſie
aber öffentlich und begrub fie mit Gepränge.
Inzwiſchen war die Sache ruchbar geworden und vor ein heimliches
Gericht gebracht, das bei nächtlicher Weile einen Span aus dem Orla-
münder Schloßtor hieb und die Gräfin verfemte. Graf Friedrich aber war
Schöffe des Gerichtes und wurde mit der Ausführung des Spruches be-
auftragt, der auf Tod lautete. Er allein unter allen Richtern mochte den
Grund des Verbrechens erraten und ſollte nun diejenige opfern, die ihn
mehr geliebt hatte als ihre eigenen Kinder. Aber er war ein Mann und
pflichtgetreuer Richter. Die Gräfin fiel von ſeiner Hand. Als ruheloſer
Schatten duchwandert fie nun Unheil verkündend die Häuſer derer, die
von dem geliebten Mörder ſtammen.“
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