Full text: Die weiße Frau

  
Menfchenkindern und erweiſt ſich als gütige, helfende Fee, keineswegs nur 
gegen Angehörige des eigenen Hauſes, ſondern gegen jedermann. Deut- 
lich iſt dieſe Verbindung mit der Weißen Frau von Orlamünde-Plaſſenburg 
in der Sage von der Weißen Frau und den Orlamünder Stadtmuſikanten 
gegeben. Ich gebe diefe vielfach erzählte und ausgefhmüdte Sage in der 
einfachften Faffung Eifels:1) 
„Die Orlamünder Stadtmuſikanten kamen einſt bei der Heimkehr auf 
den Gedanken, der weißen Gräfin eins aufzuſpielen, die ruhelos bei der 
alten Kemnate dort umherwandelt, ihre ermordeten Kinder zu ſuchen. Es 
war Mondſchein und 12 Uhr nachts, als ſie leiſe eine ſüße, traurige Volks- 
weiſe als Gruß zur bleichen Gräfin hinüberbliefen. Da tat plöglich der Berg 
fih auf, eine große, weite Pforte wurde ſichtbar, und jene trat zu ihnen, 
mit freundlih-mildem Geſicht, in der Hand aber eine ſilberne Schale, 
darin einen goldenen Pokal. Der Trank aus dieſem Becher durchlief die 
Adern der Spielleute wie glühendes, unheimliches Feuer; dann aber 
erhielt ein jeder von ihnen einige fleine Knochen, und der Berg fhloß fich 
wieder. Die meiſten nun warfen die Knochen wieder ſcheltend von ſich, nur 
der alte Stadtpfeifer nahm fie ruhig mit heim und fand am anderen 
Morgen feinen Rod {wer — von Golde, während die anderen nur kleine 
Flöten darin fanden. Daher pflege man dann zu ſagen: „Es iſt etwas 
flôten gegangen“. 
In engſter Verbundenheit mit dem eigenen Hauſe und Geſchlechte 
erweiſt fich die Weiße Frau ferner als Schußgeiſt und ſchi>ſalkündende 
Ahnfrau. Vom eigenen Hauſe und dem des geliebten Hohenzollern 
überträgt fie dieſe Gabe au< auf andere Fürſten und Herren. So 
ſchreitet die Gräfin von Orlamünde als hohe weiße Frauengeſtalt dur< 
die Räume des fürſtlih-reußiſhen Schloſſes am Sohannesplage in 
Gera, wenn in der weitverzweigten Familie des reußiſhen Regenten- 
hauſes ein Todesfall bevorſteht. Die Diener der alten Hoheit, der Witwe 
Heinrichs XRR., haben die Ahnfrau oft geſehen und au< das Rauſchen 
ihres weißen Kleides deutli<h hören können.) Als Ahnfrau der 
Schwarzburger, die ihren nächtlihen Umgang auf dem Schloſſe zu 
Rudolſtadt hält, wenn der Tod ein hohes Dpfer fordert, gilt freilich 
die weiße Prinzeſſin Chriſtine, die mit marmorbleichem Geſicht, ſhnee- 
weißem Gewande und einem langen, weißen Schleier, in der Rechten 
einen {warzen Handſchuh tragend, erſcheint ;145) aber die Erſcheinung, die 
der Prinz Louis Ferdinand auf dem Rudolſtädter Schloſſe wie au< im 
Freien bei Saalfeld erlebte, wird andererſeits ja auch mit der Hohenzollern- 
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