Kirche, Thorbau
Thurm
218 KREIS ERBACH
unter anderem Besitz auch Güter zu OsZernaha in der Cent Reichelsheim geschenkt,
zieht G. Simon den Schluss, dass diese Cent nicht einem geistlichen Stift zu eigen
war wie die meisten Odenwaldcenten, sondern Reichsgut gewesen sei. In der Folge,
wahrscheinlich gegen Ende des 12. Jahrhunderts, gelangten die Dynasten von Er-
bach in den Besitz der Cent; dieselbe wird als das Beneficium angesehen, welches
die Erbacher als Reichsschenken vom Reich zu Lehen hatten. Jedenfalls erscheint
die Cent Reichelsheim bei ihrem Eintreten in die Geschichte als Eigenthum des
Hauses Erbach, welchem sie seitdem unbestritten verblieb. — »Die kirchlichen
Verhältnisse betreffend«, bemerkt der genannte Historiker, »so gehörte die Pfarrei
Reichelsheim, welche beinah die ganze Cent in sich begriff, wie die anderen Kirchen
im Plumgau, dem St. Peters- und Alexanderstifte zu Aschaffenburg und zum Land-
kapitel Muntad, und hatte ihren Erzpriester ebenfalls (wie jene) zu Umstadt. Die
Schenken von Erbach von der älteren Linie zu Erbach hatten hier das Patronats-
recht (Ärrchensatz), das sie von Pfalz zu Lehen trugen.«
Die evangelische Pfarrkirche erhebt sich auf dem Vorsprung eines kleinen
Plateau’s, das ehedem als Friedhof diente und zu welchem an der nordöstlichen
Thalseite ein Treppenaufgang emporführt. Der Zugang wird durch einen Thorbau
bezeichnet, welcher als der älteste Theil der ganzen Anlage zu betrachten ist. Ein
weitgespannter Rundbogen ruht auf Pfeilern mit derben Wulstbasamenten und ein-
fach geschrägten, von Abaken abgedeckten Kämpfern. Die Bogenstruktur zeigt eine
Doppelanordnung von kraftvollen Werkstücken in buntem Sandstein aus den Brüchen
der nächsten Umgebung. Die alten, schweren Thorflügel aus Eichenholz mit wuch-
tigem Beschläge mussten vor einiger Zeit einer modernen leichten Gitterthüre aus
Eisen weichen. Ihrer ganzen tektonischen Beschaffenheit nach ist die kraftvolle
Thoranlage unbedenklich für die spätromanische Stilepoche zu beanspruchen; sie be-
kundet sonach die Erbauung eines Gotteshauses an dieser Stelle in viel früherer Zeit.
als diess durch die erste urkundliche Erwähnung der Pfarrei im Jahre 1387 geschieht.
Der zweitälteste Bautheil ist der 7%urm an der Westseite des Langhauses.
Die beiden unteren, durch Wasserschlagsimse mit scharfer Unterschneidung getrennten
Geschosse enthalten weite Lichtöffnungen, welche in den regellosen, verkümmerten
Formen ihres Pfosten- und Maasswerkes die äusserste Grenze der Spätgothik bekunden.
Oberhalb des zweiten Geschosses bezeichnet ein derbes Barockgesims den Anfang
eines neuen Baustadiums, welchem das im Beginn des vorigen Jahrhunderts errichtete
Glockenhaus mit seinen formlosen Schallöffnungen angehört. Darüber steigt aus
einer Einziehung der achtseitige Schieferhelm empor, welchen ein vierarmiges Eisen-
Langhaus
kreuz krönt. Die Stelle bei J. Ph. W. Luck »die Kirche ift anno 1716 dermajffen
teparirt, oder befjer zu fagen neu gebaut worden, wie fte jebo ftehet«, kann nur
auf das Obergeschoss des Thurmes mit Bedachung bezogen werden und auf das
Langhaus. Dieser Bautheil besteht aus einer in einfachem Wandviereck
errichteten, architekturlosen, flachgedeckten Halle mit weiten Rundbogenfenstern.
Die schweren Emporen tragen in nichts zur Verschönerung des öden Innenraumes
bei. Das Untergeschoss des Thurmes dient als Chorraum, welcher sein Licht durch
ein modernes kreisrundes Fenster erhält und von einer Kreuzwölbung überspannt ist,
deren derbe Rippen auf polygonal zugehauenen, ungegliederten Konsolen aufsitzen.