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| Mauertechnik
KREIS ERBACH
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getrennt zu halten, dazu bedarf es gründlicher Specialkenntnisse auf dem Gebiet
der stilistischen Besonderheiten und der plastisch-architektonischen Formensprache ;
es bedarf hierzu wesentlich auch eines für die Eigenthümlichkeiten der historischen
Bautechnik geschärften Auges. Grade für die Gruppe der karolingischen Baudenk-
mäler kommen wichtige Unterscheidungsmerkmale in Betracht. Ein kurzes Eingehen
auf diesen Umstand ist für die kunstwissenschaftliche Beurtheilung der Einhard-
basilika gradezu zwingend.
Vergleicht man die Baudenkmäler untereinander, die mit Verlässigkeit der
Karolingerepoche angehören, so zeigen sich an ihnen zwei auffallend verschiedene
Kunstweisen. Einmal liessen Karl der Grosse und seine unmittelbaren Nachfolger
bei ihren Bauten absichtlich Architekturwerke der römischen und byzantinischen
Zeit nachahmen. Zu Nieder-Ingelheim antikisirte im römischen Sinn die kaiserliche
Prachthalle durch Anlehnung an das Vorbild der Verkehrs- und Gerichtsbasiliken
Westrom’s; zu Aachen byzantinisirt im Sinn des oströmischen Centralbausystems
die noch erhaltene Pfalzkapelle, das Münster, in Uebereinstimmung mit der Kirche
San Vitale zu Ravenna; an dem Karolingerbau zu Lorsch zeigt sich eine Kombi-
nation weströmischer und oströmischer Kunst in der Vereinigung römischer Einzel-
formen an Säulen und Pilastern mit byzantinisirender Musivbehandlung der in
weissen und rothen Farbentönen auftretenden Steinverkleidung an den Hochwänden
der äusseren Langseiten. — Daneben bestand nun aber eine zweite Weise, wobei
die karolingischen Baukünstler, ohne auf einfaches Nachahmen öder Kombiniren
sich zu verlegen, die frühchristliche Basilikal-Architektur einfach beibehielten und
fortsetzten. Das letztere Verfahren ist es, welches auch Einhard, sowohl bei Erbauung
seiner Basilika im Odenwald, wie bei der etwas jüngeren Basilika zu Seligenstadt
am Main, befolgt hat. Im Umfang der Uebung beider Kunstweisen ging jedoch
die Behandlung des Mauerwerkes von einer und derselben Grundlage aus, d. h. die
karolingische Mauertechnik folgte der römischen Eigenart, und diess war vornehm-
lich der Fall hinsichtlich der Anfertigung des Baumateriales aus gebrannter Erde.
Eine bekannte Thatsache — zu deren Hervorhebung in gegenwärtiger Schrift
die Dekumatenruinen innerhalb des Kreises Erbach uns wiederholt Anlass dar-
geboten — ist nun die grosse Sorgfalt, womit die Römer die Fabrikation der
Ziegel oder Backsteine betrieben haben, sowohl in der Auswahl vortrefflicher Thon-
erde als auch in Bezug auf den Grad des Brennens zur Erzielung der Härte des
Materiales und seiner schönen rothen Farbe. Bei der Verwendung solcher Steine
sind die Mörtelfugen meist ebenso stark wie die Werkstücke. Neben dem reinen
Ziegelbau wechseln öfter einzelne Ziegelschichten mit Bruchsteinlagen ab, wodurch
das römische Mauerwerk ein musivisches Aussehen erhielt.
Alle diese Eigenthümlichkeiten der römischen Ziegelbautechnik kommen durch-
weg an der Steinbacher Basilika*) als kennzeichnende Merkmale für die kunstge-
schichtliche Stellung dieses Bauwerkes zur Vollerscheinung und zwar in einer um
so überraschenderen Weise, weil nicht nur die Struktur der Arkadenpfeiler durch
die Abwechslung der nach römischem Vorbild geformten und gebrannten Steine
mit breiten Schichten feinkörnigen Mörtels davon Zeugniss gibt, sondern weil auch
*) Vergl. die nämliche Erscheinung zu Seligenstadt im I. Theil dieses Werkes »Kreis Offenbach« S. 175 u. 176,