Full text: Ehemaliger Kreis Wimpfen (A, [3])

höfe durch das Bild des gekreuzigten Heilandes als Wahrzeichen der Erlösung beruht 
auf unvordenklicher, in der älteren Kirchengemeinschaft noch heute heilig gehaltener 
Sitte. Der fromme Brauch steigerte sich in der Aera des gothischen Kunststiles zu 
figurenreichen Schöpfungen und erreichte um die Wende des 15. und 16. Jahrhunderts 
seinen Höhepunkt in hochmonumentalen plastischen Kreuzigungsgruppen oder, wie 
WIMPFEN A. B. 
Fe 
der volksthümliche Ausdruck lautet, in der Errichtung von Kalvarienbergen. 
Der Wimpfener Kalvarienberg (Fig. 35) gehört — 
das ist ungeachtet seines 
trümmerhaften Zustandes noch immer erkennbar — zu den besten Leistungen dieser 
Art aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts, und reiht sich den Meisterwerken der 
gleichzeitigen verwandten Hervorbringungen der deutschen Bildhauerkunst ebenbürtig 
an. Die plastischen Bestandtheile des Werkes bestehen aus vulkanischem Tuff, ein 
Material, das in dieser Beschaffenheit — wie wissenschaftlich nachgewiesen — auf 
dem weiten Erdenrund nur in der Eifel und zwar an den dem Laacher See benach- 
barten Höhen in ansehnlichen Blöcken gebrochen wird. 
Die Meinung, es handle sich 
hier um eine künstlich zubereitete Steinmasse oder Thonkomposition, entbehrt der 
Begründung. Vermöge seiner Weichheit ist das Laacher Gestein der skulpturalen 
Bearbeitung sehr günstig, ein Umstand, welcher bei der Wimpfener Gruppe das 
Herausmeisseln und Herausschneiden der Einzelgestalten sammt den Kreuzen aus 
Tuffmonolithen erklärt, mit Ausnahme der unteren Theile der Kreuzstämme, die 
in der Ausdehnung von den Füssen der Figuren bis hinab zu den Postamenten, und 
wie diese selbst, in Sandstein aus den Heilbronner Brüchen gearbeitet sind. 
Das Werk baut sich in einer Höhe von 6 m 25 cm als überlebensgrosse Gruppe 
auf, worin der gekreuzigte Erlöser hochragend die Mitte einnimmt und die beiden 
Schächerkreuze etwas tiefer an den Seiten stehen. 
Christi liegt St. Maria Magdalena auf den Knieen. 
rechter Haltung die trauernde Gottesmutter. 
Am Stamm des Marterpfahles 
Zur Rechten erscheint in auf- 
Die ihr entsprechende Statue des Lieb- 
lingsjüngers Johannes zur Linken ist verschwunden; nur ein Ueberrest des Basamentes 
mit schwachen Draperiespuren erinnert an den ehemaligen Standort. Denkt sich der 
Beschauer als ideale Ergänzung der vier verhandenen Figuren die fehlende fünfte 
Statue hinzu, so empfängt er den Eindruck 
eines in edlen Verhältnissen sich 
aufbauenden harmonischen Ganzen voll Kraft und Würde. Die Einzelfiguren be- 
friedigen in hohem Grade durch Grossheit des Stiles, Ebenmaass, ausgeprägte Charak- 
teristik und technische Meisselfertigkeit. 
Alles Interesse nimmt die Christusgestalt in Anspruch, welche ein tiefes Leiden 
in ergreifender Weise darstellt. Offenbar schwebte dem Künstler in der Auffassung 
seines Gegenstandes die Schriftstelle vor: »Consumaltum est, et inchnato capite 
tradidit spiritum.« 
Es ıst vollbracht, und er neigte sein Haupt und gab den Geist 
auf.< — Das Gefühl der Ergebung webt in dem schmerzerfüllten würdevollen Antlitz. 
Unter der Dornenkrone wallt das Haar in reichen Locken herab. 
Das Lendentuch 
umgürtet den Leib in dichten Falten und seine Enden sind leise vom Winde bewegt. 
Am Saum des Tuches läuft in Reliefmajuskeln die Inschrift hin: »ERO - MORS: TVA.- 
O : MORS - MORSVS- TVVS. ERO - IN(FER)NE : OSEE - XII -< 
Deutsch: »O Tod, 
ich will dein Tod sein, Hölle, ich will dein Biss sein,; Osee, Cap. XIII. Vers 14.« 
Ein sichtliches und erfolgreiches Streben nach anatomischer Richtigkeit des Knochen- 
        
   
    
  
  
   
  
  
    
   
   
    
  
  
  
  
   
   
     
  
    
    
   
  
   
    
   
  
   
  
   
	        
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