80 EHEMALIGER KREIS WIMPFEN
gerüstes und der Muskulatur ist durchweg bemerkbar. Was am Oberkörper unverletzt
geblieben, ist von edelster Naturwahrheit. Die Füsse sind nicht mehr vorhanden;
die sanfte Hebung des rechten Beines über das linke lässt jedoch auf deren Anordnung
und gemeinsame Anheftung durch einen einzigen Nagel schliessen, wie solche an
Krucifixen gothischen Stiles durchweg in Uebung stand, im Gegensatz zu der im
romanischen Stil gebräuchlichen Nebeneinanderstellung der Füsse und ihrer Durch-
bohrung mit zwei Nägeln. Spuren des Nimbus um’s Haupt des Heilandes sind noch
sichtbar; dagegen ist der Pilatus-Titulus, welcher nach dem geringen Abstand der
Anschlaglöcher zu urtheilen in der Abkürzung I. N. R. I. auf einer kleinen Tafel
angebracht war, völlig verschwunden.
Während am Christuskreuz der Oberarm des Stammes um ein Geringes über
die Horizontalarme hinausreicht und dadurch annähernd die Gestalt des lateinischen
oder eigentlichen Passionskreuzes erhält, haben die Kreuze der beiden Schächer keine
Oberarme, sondern in Anlehnung an die Form des vorbildlichen mosaischen Schlangen-
kreuzes in der Wüste sind sie als sogen. alttestamentliche oder ägyptische Kreuze
gebildet, die wegen ihrer Aehnlichkeit mit der griechischen Majuskel T auch Tau-
Kreuze heissen. Die beiden Missethäter hängen nicht angenagelt am Marterholz,
sondern sie sind daran festgebunden mit derben Stricken. Dismas, der gute Schächer,
von Anderen Matha genannt, ist nur um die Lenden gewandet; Gestas, der mitunter
die Namen Gismas und Toca führt, erscheint in der Tracht der gegen Ende des
15. Jahrhunderts von Kaiser Max unter dem Namen Landsknechte eingeführten Söldner,
die durch ihre rohen Sitten allgemein gefürchtet waren, was übrigens nicht verhinderte,
dass ihr Kostüm durch das Aufschlitzen der Bekleidungsstücke, namentlich der ge-
pufften Aermel, die Mode der Zeit beeinflusste und lange, auch bei fremden Nationen,
tonangebend blieb. Der bussfertige, keineswegs an einen Verbrecher gemahnende
Dismas ist eine würdige Erscheinung; er hat das von wallendem Haar und Vollbart
umgebene Haupt erhoben und schaut sehnsuchtsvollen Blickes zum Heiland empor,
welcher dem Reuigen das Paradies versprochen. Der verstockte Gestas wendet sich
vom Erlöser ab; seine kurzgewölbte Stirn, der breite Mund, die gemeine Stülpnase,
der vorstehende Unterkiefer und die starken Backenknochen geben ein abstossendes
Bild des unheimlichen Reissläufers, der unter die Räuber gegangen und als Mörder
geendigt. In sicherer Auffassung und mit vollendetem Meisselgeschick sind die beiden
widersprechenden Charaktere gegenüber gestellt. Das durchgeistigte Antlitz des
Dismas kontrastirt scharf mit den verworfenen Zügen des Gestas. Der Künstler hat
mit Glück und neuen Erfolgen in der Darstellung des Individuellen die Bahn des
Gegensätzlichen beschrittten, die schon der unmittelbar vorhergehenden plastischen
wie malerischen Kunst nicht fremd war, im Sinn der Auffassung jener Zeit, wonach
das Gute auch das Schöne, das Hässliche auch das Böse sei. — Ueber dem reuigen
Schächer ist ein Engel sichtbar, welcher dessen Seele in Gestalt eines zarten Kindes
in Abraham’s Schooss trägt. Bei dem unbussfertigen Genossen fehlt die symbolische
Gruppe, die nach allen Analogieen ohne Zweifel Satan im Besitz der Kindergestalt
darstellte. Die erhaltene Engelfigur ist von zierlicher Feinheit und zeigt bei einem
Vergleich mit den monumentalen Statuen, dass dem Meister die sorgfältigste Aus-
führung seiner Werke eigen war, im Grossen wie im Kleinen.
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