Chor-Inneres
98 EHEMALIGER KREIS WIMPFEN
thum völlig entfremdet. Die in ihrer Art glänzende Rococo-Ausstattung des Lang-
haus-Inneren mit reich geschnitzten und strotzend vergoldeten Altären, Kanzel und
anderem liturgischem Geräthe (Fig. 42) ist nicht imstande, für den Verlust der Chor-
perspektive wie überhaupt für die Einbusse der früheren Harmonie und Eurhythmie
der Formen und Farben irgend Ersatz zu bieten. Ja, auch der Farben! Denn bei
Trneuerung des Anstriches der Hochwandflächen zu Anfang des vorigen Jahrzehnts
waren unter der späteren Leimfarbe ansehnliche Ueberreste von figürlichen Wand-
gemälden zu Tage getreten. Obgleich über Inhalt, Stilcharakter und Technik dieser
Darstellungen jegliche Kunde fehlt, lässt sich auf Grund ihres ehemaligen V orhanden-
seins doch ohne Wagniss annehmen, dass die malerische Auszier eines architektonisch
so hervorragenden Baudenkmales nicht künstlerisch bedeutungslos gewesen sein kann
und dass dieselbe nach allen Analogieen um Jahrhunderte vor der Farblosigkeit der
Hochwände des Barocco und Rococo entstanden, wohl gar in die Erbauungszeit der
Kirche, mithin in die sechziger Jahre des 13. Säculums zurückzuversetzen sein wird.
Wie das so zu geschehen pflegt, wurden die zum Vorschein gekommenen Gemälde-
fragmente alsbald nach ihrer Aufdeckung abermals durch die Weissbinderquaste wie
mit einem Leichentuch überdeckt und erwarten in dieser unfreiwilligen Hülle ihre
Wiedererweckung zu neuem Leben.
In Uebereinstimmung mit der einfach edlen Frühgothik des Chor-Aeusseren
hat auch die Struktur des Chor-Inneren — die monotone moderne Weisstünche
selbstverständlich ausgenommen — das mittelaltrige Stilgepräge unversehrt bewahrt.
In hohem Grade beklagenswerth ist jedoch der Missstand, dass die obenerwähnte
Abtrennung des Chorhauptes vom Vorchor und seine Verwendung theils als neue
Sakristei, theils als Oratorium — wovon noch im Einzelnen die Rede sein wird
eine ungehemmte Anschauung des stattlichen Bautheiles verwehrt. Der den Zugang
vermittelnde Triumphbogen ist theilweise nicht mehr der ursprüngliche arcus trium-
phalis. Die Erneuerung des Langhauses zog den Bogen dadurch in Mitleidenschaft,
dass sie seine Laibung und Giebelung verflachte und die Kämpfer der Giebelansätze
barockmässig umgestaltete.
Weiter gen Ost hebt die Gothik in ihrer Reinheit an. Den Vorchor
ig. 40 S. %) überspannt ein aus vier Jochabtheilungen bestehendes
——
(s. Grundriss
Kreuzgewölbe, das an den Hochwänden von Dreiviertel-Säulen mit einfachen Kelch-
kapitälen getragen wird, aus denen sich das Rippenwerk entwickelt. Die flach
gekehlten Einzelrippen treffen Joch um Joch in runden Schlusssteinen zusammen, die
mit Vegetativgebilden der heimischen Flora, Eichen- Reben- und Hopfenlaub verziert
sind. Der Lichteinfall des Vorchores geschieht nur von der Nordseite, was die ein-
heitliche Beleuchtung des Raumes und die Wirkung seiner künstlerischen Ausstattung
ungemein begünstigt. Das an der Südseite angebrachte Stichbogenfenster spendet
kein Licht; es gehört zu einer vom Konvent aus zugänglichen kleinen Loggie, die
einen Ausblick auf den Hochaltar gewährt.
In ähnlicher Weise wie im Vorchor steigt auch das Rippenwerk des fünfseitigen
Chorhauptes aus Dreiviertel-Wandsäulen auf, welche, sechs an der Zahl, die
Polygonwinkel füllen und aus deren Kelchkapitälen die Einzelrippen in edlem Rhyth-
mus strahlenförmig dem plastisch belaubten gemeinsamen Schlussstein zustreben.
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