Neue Sakristei
120 EHEMALIGER KREIS WIMPFEN
Ein faltenreicher Mantel umhüllt die Madonna, welche geneigten Hauptes demüthig
in die Kniee gesunken ist und die Hände über der Brust faltet im Sinn der Schriftworte:
&rre ancilia Domini, fiat mil gecrundum berbum tuum; Siehe, ich bin eine
Dienerin des Herrn, mir geschehe nach deinem Worte. *- Eine andere Gruppe
von der Fig. 56 eine Vorstellung geben soll, zeigt die Heimsuchung Mariä, d. i. den
Besuch der Jungfrau bei ihrer Base Elisabeth. — In der Darstellung der Anbetung
des göttlichen Kindes durch die h. h. drei Könige hat der Vorgang das Bild einer
Stadt mit gothisirender Architektur im Hintergrund. Zu diesem Zeit- und Stilver-
hältniss stimmt auch das Kostüm der Weisen aus dem Morgenlande; der Realismus
spätmittelaltriger Kunst wollte eben auch in biblischen Schilderungen immer bei sich
zu Hause sein. Sämmtliche heilige Personen tragen Nimben um’s Haupt. Ihre Ge-
sichtszüge leiden mitunter an Befangenheit und Unvollkommenheit, was zum Theil
auf textile Bedingungen zurückzuführen ist. Die Lineamente sind stellenweise schwarz
umzogen. Diese Eigenthümlichkeit kommt auch in den brüchigen Draperieen vor,
die übrigens im Ganzen von gutem Wurf sind. Die etwas verblichene Farbengebung
varürt in Roth, Gelb, Blau auf grün gemustertem Grunde. Allen Analogieen zu-
folge sind diese Textilfragmente Bestandtheile einer Bilderreihe, wie solche das
Mittelalter auf Altarantependien und Chorwänden anzubringen liebte und die zur
Verherrlichung und Versinnlichung der Festkreise des Kirchenjahres, im vorliegenden
Fall der Advents- und Weihnachtszeit, dienten. Diese Bildercyklen waren und sind
noch jetzt ebenso belehrende wie beliebte Volksheiligthümer, in Anlehnung an eine
von der Synode zu Arras im Jahre 1025 gefasste Bestimmung, worin es heisst: Was
die Ungelehrten nicht durch Lesung der heiligen Schrift sich aneignen können,
das sollen sie in kunstreichen Bildern schauen.
Nachdem die alte Sakristei Jahrhunderte lang ihrer Bestimmung genügt hatte,
machte sich im Laufe des vorigen Jahrhunderts — allem Anschein nach gleichzeitig
mit der damaligen Bauveränderung des Langhauses der Kirche und der Errichtung
des jetzigen Hochaltares — das Verlangen nach einer geräumigeren Sakristei geltend.
Die Verwirklichung dieses Gedankens liefert einen bezeichnenden Beitrag zur Ge-
schmacksrichtung jener Zeit, welcher das Verständniss der kirchlichen Baukunst des
Mittelalters und der Sinn für die darin ausgesprochenen rituellen Anforderungen,
selbst in den Kreisen des Klerus, vielfach abhanden gekommen war. Im vorliegenden
Fall trug man nämlich — wie schon 5. 97 u. 98 andeutungsweise erwähnt kein Be-
denken, die Dominikanerkirche der ursprünglichen jestimmung ihres Sanktuariums
zu berauben und sie in Folge dessen um den schönsten Theil ihrer baukünstlerischen
Wirkung zu bringen. Der Bauherr liess zwar das alte Sakristeigebäude bestehen,
aber er verfiel auf die seltsame, um nicht zu sagen absurde Idee, das Chorhaupt vom
Vorchor unmittelbar hinter dem neuen Hochaltar abzutrennen und den Bautheil in
der Weise umzugestalten- und zu entstellen, dass nun die Östung durch eine ein-
gezogene Zwischendecke in zwei Geschosse zerfiel, wovon das untere Geschoss als
Sakristei und das obere Geschoss als Oratorium der Konventualen eingerichtet wurde.
Um dem Untergeschoss das nöthige Tageslicht zu verschaffen, brach man unterhalb
der Sohlbänke der das Oratorium erhellenden Spitzbogenfenster ohne viel stilistisches
Federlesen, zwei rundbogige Lichtöffnungen in die Umschlussmauer des Chorhauptes,