WIMPFEN ]I. TH. 201
Im 18. Jahrhundert erholte sich zwar das Stift allmählig von den erlittenen,
lange nachwirkenden Schicksalen, allein seine Glanzzeit war vorüber; es gelang der
Genossenschaft nicht mehr, die frühere Blüthe wiederzugewinnen. Zudem waren die
Lebenstage des Stiftes gezählt. Der Umschwung aller Verhältnisse infolge der
grossen Revolution um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts brachte seine Auf-
hebung. Durch den Reichsdeputations-Hauptschluss vom Jahre 1803 wurde das viel-
hundertjährige Monasterium säkularisirt und dem Landgrafen Ludwig X von Hessen
als Entschädigung für linksrheinische Verluste durch den Lüneviller Frieden —
persönlich überwiesen, infolgedessen die ehemals stiftischen Güter und Gebäude auch
heute noch auf den Titel »Grossherzogliches Haus, Familieneigenthum« im Wim-
pfener Grundbuch eingetragen sind.
Die Propstwürde, die schon seit dem Jahre 1604 zu bestehen aufgehört, wurde
1743 durch eine päpstliche Bulle endgiltig aufgehoben; von da an bestand die Stifts-
geistlichkeit nur noch aus einem Dekan und sechs Kapitularen. Die letzten Würden-
träger waren: der Dechant von Hohenfeld und der Kustos Freiherr von Folleville.
DIE STIFTSKIRCHE ST. PETER ZU WIMPFEN IM THAL
Nach der Säkularisation des Ritterstiftes blieb das Gotteshaus noch einige Zeit
Pfarrkirche der katholischen Gemeinde zu Wimpfen im Thal, bis diese im Jahre 1818
mit der Pfarrei Wimpfen am Berg vereinigt wurde. Jetzt hat es den Charakter einer
Kilialkirche, deren Rektor der Pfarrer zu Wimpfen am Berg ist. Ein neben der
Stiftskirche wohnender Beneficiat hat die hh. Messen des Beneficiums ad S. Catha-
rinam zu besorgen, dessen Altar in den sechziger Jahren beseitigt wurde aber wieder-
hergestellt werden soll.
Schon aus der Ferne gesehen und in der äusseren Erscheinung einen unge-
wöhnlich bedeutsamen Sakralbau darstellend, erhebt sich die Stiftskirche in
wirkungsvoller Monumentalität hoch über die Häusergruppe des Marktfleckens und
beherrscht das Flussgelände von Jagstfeld abwärts bis zur Wimpfener Neckarhälde
und der auf diesem Höhenzuge sich ausbreitenden alten Reichsstadt.
In die Nähe des Bauwerks getreten bemerkt der Beschauer alsbald, dass es
sich bei diesem Denkmal — vergl. Fig. 117 — nicht um eine Schöpfung aus gleichem
Guss handelt, sondern um eine Verbindung zeitlich getrennter Baugedanken, die in
wechselndem Formenausdruck und scharf ausgesprochener Stilverschiedenheit einander
gegenüber stehen. Die östlichen Bestandtheile und der mittlere Baukörper folgen
den Gesetzen der Gothik, während der westliche Fassadenabschluss vorgothisch ist
und frühromanisches, sogen. ottonisches Stilgepräge aufweist. Alles Interesse nehmen
die gothischen Bautheile in Anspruch, deren Grossräumigkeit, tektonischer Charakter
und künstlerischer Schönheit weitaus in den Vordergrund tritt und die schlichte
Westpartie in den Schatten stellt.
Die Plananlage der Kirche ruht auf der Grundgestalt des lateinischen
Kreuzes. Aus dem Grundriss (Fig. 118) ergibt sich eine Länge des Gesammtbau-
körpers von annähernd 50 m, wovon im Durchschnitt, d. h. ohne die sogleich zu er-
örternden unsymmetrischen Verhältnisse der Axenstellungen in Anschlag zu bringen —
Allgemeines
Plananlage