Full text: Ehemaliger Kreis Wimpfen (A, [3])

   
Aussenbau 
Allgemeines 
Chorpartie 
210 EHEMALIGER KREIS WIMPFEN 
Unter jenen mittelaltrigen Künstlern befand sich auch unser /atomus, der bei seiner 
Heimkehr keinen neuen Baustil, wohl aber Studienblätter französisch-gothischer archi- 
tektonischer Einzelformen und plastischer Arbeiten mitbrachte, womit er den Beifall 
des Dechanten Richard von Ditensheim errang und willkommene Gelegenheit erhielt, 
unter Beibehaltung des deutsch-gothischen Grundgesetzes im Struktiven, die gesam- 
melten baulichen Schmuckmotive und plastischen Studien (fenestrae, columnae und 
icones sanctorum) an und in einzelnen Partieen des Stiftsmünsters dekorativ zu ver- 
werthen. Es geht daraus hervor, wie wenig in Stilfragen isolirte Erscheinungen für 
die allgemeine Kunstbewegung von Belang sind und wie geringes Gewicht die 
Forschung auf reine Zufälligkeiten legen darf, insbesondere im vorliegenden Fall auf 
die Berufung des in Paris gewesenen deutschen Architekten. Nicht indem man der- 
gleichen Erscheinungen aus dem Zusammenhang loslöst, sondern dieselben im Werde- 
gang des Ganzen prüft, erhalten sie den ihnen gebührenden zeugenhaften Werth. 
Die nachstehende Beschreibung wird darüber Näheres darlegen. 
Bei Erörterung der Plananlage der Ritterstiftskirche wurde bereits angedeutet, 
dass der Neubau des Gotteshauses nach frühchristlicher Norm und in Uebereinstim- 
mung mit der erhaltenen Thurmfassade des wegen Baufälligkeit niedergelegten 
älteren Werkes die Richtung von West gen Ost erhielt. Das Gebäude ist somit 
nach der sogen. heiligen Baulinie angelegt. Auch darin folgte Richard von Ditens- 
heim dem altehrwürdigen Herkommen, dass er beim Angriff des Neubaues vor allem 
auf Herstellung des Chores mit dem Altar zur Feier der heiligen Geheimnisse be- 
dacht war, worauf die Errichtung des Kreuzschiffes und Langhauses folgte, während 
die Fertigstellung minder dringlicher Bautheile, wie Ostthürme, Transseptgiebel, 
Strebesystem, entweder nur theilweise geschah oder vorerst noch unterblieb. Die 
Mauertechnik ist im Grossen und Ganzen Quaderbau aus gelblichem Heilbronner Sand- 
stein, stellenweise an Strebepfeilern und Fenstergewänden mit Buntsandstein durchsetzt. 
Der Aussenbau der Chorpartie (Fig. 119 u. 120) zeigt die deutsche 
Gothik in gemessener Entfaltung des frühen Stilstadiums und konstruktiv unberührt, 
obschon dekorativ leise angehaucht von fremder Einwirkung. Dass diese Bautheile 
— Chorhaupt, Thürme, Nebenapsiden »vielleicht noch vor der durchgreifenderen 
Wirksamkeit jenes in Frankreich gebildeten Meisters begonnen worden, indem an 
dem nördlichen dieser Thürme und an seiner inneren Hülle Details von einer 
fast rohen Einfachheit erscheinen, welche noch dem Style der schwäbischen Archi 
tekturen entsprechen«, wie Franz Kugler schreibt,*) ist zwar nur theilweise zutreffend, 
aber immerhin geeignet, die Annahme von der Thätigkeit der oben erwähnten Meister 
Cunradus und Bertholdus zu unterstützen. 
Die Baugruppe erhebt sich auf einer durch eine abgedeckte Steinumfassung 
begrenzten Bodenfläche. Das Chorhaupt, 17 m hoch, ist fünfseitig aus dem Achtort 
konstruirt. Entsprechend dieser Anordnung legen sich vier Strebepfeiler an die 
Ecken des Chorpolygons. Ein durchlaufender Sockel mit schlichter Abschrägung 
umgibt den Unterbau. Das dicht an den Fenstersohlbänken hinziehende, auch die 
Widerlager umgürtende, aber die Thürme frei lassende Kaffgesimse fällt steil ab, mit 
*) Vergl. dessen Geschichte der Baukunst, Stuttgart 1859, III B. S. 296. 
  
   
  
  
  
  
     
   
  
  
    
      
    
  
  
  
  
  
     
   
  
  
  
  
  
  
    
    
    
  
    
  
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