Ueberbleibsel
alter Glasmalerei
256 EHEMALIGER KREIS WIMPFEN
dankenvoll auf ein verschlossenes Buch in der rechten Hand hernieder. Das als
Prunkhaube im Geschmack der Zeit gesteifte und gestreifte Kopftuch fällt an den
Schläfen schleierartig auf die Schultern, von denen der verbrämte Mantel in breiten
Massen rückwärts wallt. Das Untergewand ist zwar nicht ganz frei von den konven-
tionellen Faltenaugen der gothischen Spätzeit; aber die Anordnung bleibt maassvoll
und wirkt durchaus harmonisch, besonders in den die Füsse bedeckenden klaren
Draperieen. Die auf dem linken Arm der Mutter sitzende kleine Maria macht durch
ihr wohlgeordnetes, glatt gestrichenes und gescheiteltes Haar einen modernen Ein-
druck. Sie schaut bescheiden und doch selbstbewusst darein, gleich einem wohlerzo-
genen Patriziertöchterlein der ehrsamen alten Reichsstadt ; das Kostüm des Kragen-
kleidchens stimmt zu dieser frappanten
Lebenswirklichkeit. Leider sind die bei-
den Händchen verschwunden, die nach
den frei ausgestreckten Armen zu schlies
sen und im Sinn der Bildkunst jener
Zeit vielleicht ein Szepter oder Blumen
und Früchte trugen. Die Gruppe gehört
entschieden zu den besten Schöpfungen
der Holzplastik des Stilstadiums. Das
sprechende Antlitz der Mutter Anna mit
dem Ausdruck seliger, ergreifender Rüh
rung in den harmdurchfurchten Zügen
Q
ist eines Veit Stoss und Tilman Riemen
schneider würdig. Man vergleiche nur
Fig. 157. Wimpfen im Thal. damit die noch kürzlich ausserhalb der
Ritterstiftskirche St. Peter. Apside auf einem Tisch gestandene, jetzt
Gemalte Ornamentation am Chorgestühl. i ; ;- i i ı Es DehDE
in die nördliche Sakristei übertragene,
keineswegs von ungeschulter Hand gearbeitete Figur, ebenfalls eine Annastatue.
Welcher Abstand in Auffassung, Charakteristik und Durchführung. Dort Adel
in der Haltung, Würde im Antlitz, Ruhe im Fluss der Gewandung; hier Mangel
an Haltung, Verschwommenheit im Ausdruck, geschmacklose Häufung der im Ueber
maass geknitterten Gewandfalten. Die Wirkung der edelschönen Altarstatue würde
noch grösser sein, ohne die nagelneue bunte Farbengebung, wobei wohl der Wille
gut, das Verständniss für die Gesetze und Technik der alten Polychromie jedoch
unzureichend war. — Des Altarkreuzes mit den Figürchen der mater dolorosa, der
Apostelfürsten und der evangelischen Zeichen, sowie des neben dem Altar hängenden
neu in Farben gefassten Krucifixes sei nur im Vorübergehen gedacht. Unter den
die Mensa zierenden Metallleuchtern zeigen zwei gothisches Gepräge. Hinter dem
Altar sind im Mauerwerk zwei Piscinen zum Ablauf des beim Messopfer verwendeten
geweihten Wassers angebracht.
In der Fensterarchitektur haben einige wenige Ueberreste der Kunstherrlichkeit
des ehemaligen Glasgemäldeschmuckes der Kirche Schutz gefunden, bestehend aus
bunten Sternen nebst anderen Linearmotiven und einigen kleinen figürlichen Dar-
stellungen, darunter die Madonna das Jesuskind führend und zwei von Nimben