Ikonische
Kapitäle
282 EHEMALIGER KREIS WIMPFEN
viertheiligen Pässen im Maasswerk, begleiten die Hallenausdehnung auf der Innen
seite, während die Aussenseite minder schmuckreich behandelt ist. In der Mitte
der Halle öffnet sich ein Ausgang nach dem Kreuzgarten. An den Seiten des
Maasswerkes dieser Oeffinung kauern die Rundfiguren einer nackten Gestalt mit
einem Apfel in der Linken und eines Drachen mit grimassenhaftem Menschenhaupt.
Da und dort schauen vereinzelte menschliche
NS SI Köpfe vom Scheitel der Arkadengewände herab.
TG FR Plastisch am reichsten komponirt und durchge-
bildet sind die von einer Fülle herrlich gemeis-
selten Laubwerks umkränzten Kapitäle. In
diesem überaus mannigfaltigen V egetativschmuck
spielen Wasserpflanzen, Ahorn-, Eichen-, Epheu-,
Klee- und Rebenblätter die Hauptrolle. Daneben
erscheinen blühende Rosen und Winden, Laub
und Früchte der Erdbeerstaude, des Feigenbau-
mes und des Weinstocks, vielfach belebt durch
munteres Gethier. (Fig. 170, a,b, cu. d.) Eine
Mauerschwalbe mit ausgebreiteten Flügeln und
gespreitztem Schweif atzt die über ihr im Neste
geborgenen gierigen Jungen und haftet so fest am
Kapitäl, dass sie in dieser Haltung, ungeachtet
des realistisch behandelten Gefieders, wie ein
heraldisches Bild wirkt; ein anderer Vogel steht
auf dem Rande des Nestes und schaut auf seine
Jungen herab, die mit aufgesperrten Schnäbeln
die ersehnte Nahrung in Empfang nehmen; ein
Frosch treibt unter Wasserpflanzen sein Wesen;
a, und ein junger Hase ist in den Weinberg ge-
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schlichen, um an saftigen Trauben sich gütlich
Fig. 169. Wimpfen im Thal. zu thun, auf deren Blätterbüscheln Raupen und
Ritterstiftskirche St. Peter. Arkatur
Schmetterlingspuppen zur Symbolisirung der hei-
des östlichen Kreuzgangflügels.
mischen Fauna und Flora beitragen.
Der Freund der Geschichte bildender Kunst wird diese sinnigen und meissel-
fertigen Schöpfungen mit freudiger Ueberraschung betrachten und ihnen als reizenden
plastischen Stillleben einer frühen Zeit seine Bewunderung nicht versagen. Diese
ikonischen Kapitäle zeigen, dass die Bildnerei im Beginn des 14. Jahrhunderts schon
im hohen Grade es verstand, das Leben in der freien Natur zu belauschen und die
darin waltenden Erscheinungen mit einer Meisterschaft zu künstlerischem Ausdruck
zu bringen, die den Plastikern des Ritterstifts, wie an ihren Statuen im Grossen so
an dieser Ornamentik im Kleinen, zu dauerndem Ruhm gereicht und ihnen einen
hervorragenden Rang in der Entwickelungsgeschichte der Skulptur des Mittel-
alters sicher. Was Wunder, wenn Nicolaus Lenau, der während seines Aufent-
haltes bei Justinus Kerner im nahen Weinsberg ohne Zweifel den Thalwimpfener
Kreuzgang gesehen, die an dieser romantischen Stätte empfangenen Eindrücke
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