296 EHEMALIGER KREIS WIMPFEN
grobsinnenfällig anmuthen; indess in der bildenden Kunst des Mittelalters war diese
|| naive Auffassung herkömmlich. Es sei nur, um in der Nähe zu bleiben, auf die
gleichen Reliefdarstellungen am Zwischenportal des Westchores und des Langhauses
der St. Katharinenkirche zu Oppenheim a. Rh. und am Nordportal der Liebfrauen-
kirche zu Würzburg hingewiesen, welches letztere keinen Geringeren als den be-
rühmten Tillmann Riemenschneider zum Urheber hat. Offenbar wurden die alten
Meister in ihrer Auffassung der Verkündigung Mariä von den Worten des Engels
im Lucasevangelium I, 35 geleitet: »Spiritus sanctus superveniel in te, el virtus
Altissimi obumbrabit tibi.« »Der heilige Geist wird über Dich kommen und die
Kraft des Allerhöchsten wird Dich überschatten.« Oder lag ihnen etwa Walther
von der Vogelweide im Sinn, der da singt: »Dur ir öre empfienc sie den viel
suezen« ?
Ein hervorragendes künstlerisches Moment der Tympanonskulptur liegt im
Ausdruck der Köpfe. Das Antlitz des verkündenden Engels zeigt feierlichen und
doch freundlichen Ernst. Aus den Gesichtszügen der Jungfrau spricht demüthige
trgebung in den Willen des Allmächtigen. Zu einem hohen Grade von Vollendung
steigert sich aber der künstlerische Werth der Einzelgestalten in dem durchgeistigten
Haupte Gottvaters, dessen erhabene Erscheinung schon allein zur FErkenntniss genügt,
dass hier eine berufene Künstlerhand den Meissel geführt und Ideales mit Realem zu
verbinden gewusst, ohne dass Eines dem Anderen Eintrag thut. Der realistische Zug
| theilt sich auch dem Geräthe mit und zwar so greifbar, dass der Betrachter in die
11 unmittelbare Wirklichkeit des Spätmittelalters sich versetzt fühlt. So ist am Bet-
schemel das gothische Beschläge mit aller Stiltreue wiedergegeben, und auch die
Behandlung der Blätter und des Einbandes des Gebetbuches, sowie die Formgebung
der Blumenvase verrathen diesen sinnigen, aus eigener Zeit und heimischer Umgebung
schöpfenden Realismus.
Simse u. Fenster- Sämmtliche Portale sind oberhalb ihrer Spitzbogengiebel von einem das ganze
age Gebäude umgürtenden Kaffgesimse in erhöhter Anordnung umrahmt. Die Fenster-
| N architektur ist verschiedenartig gestaltet; man bemerkt auf jeder Langseite je eine
dreitheilige und drei zweitheilige Lichtöffnungen. Die Fenstergewände haben un-
gegliederte Laibungen; ihre Sohlbänke fallen schroff zum Kaffgesimse ab. .:Das
Pfostenwerk ist leicht gekehlt; das Maasswerk variirt Passmotive und Fischblasen-
gebilde in mannigfachen Stellungen. Die anspruchslose bunte Verglasung ist neueren
| Ursprungs. Am Kranzgesims, das theils aus Steinwerk, theils aus Eichenholz besteht,
läuft eine schlichte Kehlung hin. An den Chorseiten sind oberhalb des Sockels zwei
| vermauerte, aussen im Stichbogen, innen rundbogig konstruirte kleinere Fensterpaare
|
angebracht, die ursprünglich den Altarraum erhellten. Jetzt geschieht der Lichtein-
fall durch den oberen Theil des grossentheils ebenfalls vermauerten Chorbogens, an
' dessen Aussenseite Ansätze von Gewänden und abgeschrägte Sockelsteine die beab
sichtigte, jedoch unausgeführt gebliebene Anfügung eines Chorhauptes deutlich er-
kennen lassen.
Inneres Das Innere befindet sich gegenwärtig in einem Zustand arger Verwahrlosung.
Trümmer von Kirchenstühlen liegen umher, darunter gothische Gestühlreste?/mit
Misericordien -Klappsitzen aus vorreformatorischer Zeit. Auch die polygonen Holz-