WIMPFEN A. B. 23
gesims in schlichter, vorn leicht gewalmter Satteldachform. Auch der Sockelsims
und das dicht unter den Fensterbänken hinziehende Kaffgesims sind durch Wasser-
schrägen abgedeckt und umgürten den ganzen Bautheil mit Einschluss der Strebe-
pfeiler. Die Fensterarchitektur zeigt eine bemerkenswerthe Reinheit stilistischer
Behandlung und ist durch ihre Formgebung allein schon hinreichend, dem Chor eine
ehrenvolle Stellung in der Blüthezeit der Gothik um die Wende des 13. und
14. Jahrhunderts zu sichern. Die zweitheiligen Lichtöffnungen sind hoch und schlank.
Ihre Pfosten entsteigen oktogonen Basamenten und haben die ältere Form schmaler
Dreiviertel-Säulchen, aus deren zierlichen Blätterkapitälen das Maasswerk der Spitz-
bogenschlüsse sich entwickelt, welches aus abwechselnd mehr oder minder reichen
mit Rundstäben umrahmten Rosetten und Passformen besteht. Am mittleren Chor-
fenster ist die Maasswerkgruppe besonders wirkungsvoll durch die Vertheilung der
Rosettenfüllung des Spitzbogengiebels in mehrere Kreisspannungen. Eines der nörd-
lichen Fenster ist von geringer Höhe und scheint jüngeren Ursprunges zu sein, da
es der Pfostung entbehrt und im Maasswerk vorspringende Zacken aufweist, während
sämmtliche übrigen Chorfenster noch keine Maasswerkzacken oder Nasen enthalten,
wie die alte Bauhüttensprache dergleichen Vorsprünge nennt. NM A
— Am Chorhaupt finden sich folgende Steinmetzzeichen: — [ N „N
Klar, ebenmässig und monumental wie die Aussenarchitektur ist auch derInnen-
bau des Chores beschaffen (Fig. 8). Die Abmessungen sind: 10,60 m Länge,
5,61 m Breite. Zwei Stufen führen aus dem Langhause zum Triumphbogen, dessen
flankirende Halb- und Dreiviertel-Säulen polygonal gebildet sind, eine Gliederung,
die sich an den Kapitälen und deren Deckplatten fortsetzt. Der Schluss des Bogens
zeigt tief eingeschnittene Parallelfurchen. Der Vorchor besteht aus zwei mit Kreuz-
gewölben überspannten Jochen. Die Wölbungsrippen ruhen auf Halbsäulen, deren
Basamente gerundet und deren glatte Kelchkapitäle neu vergoldet und polychromirt
sind. Die Schlusssteine haben Weinlaub als Reliefzier. Die Fensterarchitektur ist
einfacher behandelt als an der Aussenseite; ihre Sohlbänke setzen sich als Kaffgesims,
jedoch mit Freilassung der Halbsäulen, durch den ganzen Bautheil fort. — Im Chor-
haupt, dessen Fussboden zwei Stufen höher liegt als der Vorchor, steigen aus den
Polygonalecken ebenfalls schlanke Halbsäulen auf Rundbasamenten empor, aber nur
bis zur Mitte der Fensterhöhe, wo über ihren Laubkapitälen das Rippenwerk mit
einfacher Abfasung aufsteigt und im Gewölbescheitel den am Rande als reichen
Blätterkranz gemeisselten kreisrunden Schlussstein trifft.
Die Mitte des Schlusssteines enthält eine auffallende figürliche Hochrelief-
Darstellung, welche die Tradition mit den Schicksalen der Stadt Wimpfen zur
Öttonenzeit in Verbindung bringt. Wir sehen ein Frauenhaupt mit aufgelöstem
Haar; Verzweiflung spricht aus den starren Augen; der verzerrte Mund ist geöffnet
und schreit das innere Leid in die Lüfte hinaus (Fig. 9). Es ist die Allegorie der
Wibpin oder Weiberpein, als Erinnerung an die in den Drangsalen der Hunnennoth,
wie der Volksmund die Ungarninvasion nennt, den Wimpfener Frauen zugefügte
Schmach. Dass die Legende auf einem thatsächlichen Kern beruht, liegt nicht ausser
dem Bereich des Möglichen, zumal ähnliche Reliefbilder in der ehemaligen Domini-
Chor
Inneres
Schlussstein
Relief sogen.
Weiberpein