Full text: Ehemaliger Kreis Wimpfen (A, [3])

       
   
  
  
   
  
   
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
   
   
  
   
  
   
  
  
  
  
  
  
    
    
Marienstatue 
am Aussenbau 
44 EHEMALIGER KREIS WIMPFEN 
zeichen (Bretzel Semmel, Rosengebäck), welche die Volksphantasie in Ermangelung 
besseren Wissens nach eigener Auffassung sich zurechtlegte und zu einer Deutung 
gelangte, die unter solchen Umständen nicht befremden kann.*) 
Hoch an der Südostecke des Langhauses und dicht unter dem Kranzgesims 
steht in einer Flachnische eine nicht völlig lebensgrosse Statue der Madonna und 
schaut als Patronin der Pfarrkirche und der freien Reichsstadt weit über die zu ihren 
Füssen gelagerten Häusergruppen in’s Land hinaus. (Fig. 23.) Maria trägt eine Krone 
auf dem Haupt und ist sonach als Himmelskönigin aufgefasst. Der Jesusknabe auf 
ihrem linken Arm ist nur noch Torso, das Scepter in der rechten Hand fast ganz 
verschwunden, ob in Folge von Steinfrass ob durch Unbill (s. o. »Bildkästlein«), steht 
dahin. Im holdseligen Antlitz der Madonna ist das jugendliche und jungfräuliche 
Moment ausdrucksvoll betont, verbunden mit einem Zug von Hoheit und Frauenwürde. 
Schleier und Mantel fliessen in geregeltem Wurf und sind auffallender Weise völlig 
frei von der Zersplitterung und Auflösung der Massen in gebrochene und geknitterte 
Gewandfalten, welche sonst die Bildkunst der Spätgothik eben nicht zu deren Vortheil 
charakterisiren. Diesem Maäasshalten im Statuarischen steht im Ornamentalen unbe- 
grenzte spätgothische Zierlust gegenüber. Sie äussert sich theilweise schon am Mantel- 
saum durch Nachahmung von Brokatgebilden in feinster Meisseltechnik. Sie wird 
überquellend an der dekorativen Nischenausstattung, welche unterhalb der Statuen- 
konsole als kleine durchbrochen gearbeitete Gallerie beginnt, an der Konsole selbst 
in geschwungene Giebelungen des sogenannten Frauenschuhmotivs übergeht und ihren 
Gipfelpunkt in dem die Statue schützenden Baldachin erreicht. Letzterer baut sich 
bis zum Rande des Kranzgesimses auf, in dessen Hohlkehle das dichte Laubwerk der 
abschliessenden Kreuzblumen sich verliert. Der Baldachin übertrifft durch Reichthum 
seiner aus zackigen Bogenschlägen, Astwerk und anderer Vegetativzier bestehenden 
Gliederung selbst die Formenfülle der vielgestaltigen Konsole. Sogar die Flächen 
der neben der Nische eingefügten Quadern der Umfassungsmauer mussten durch 
fensterartige, augenscheinlich das heilige Haus zu Nazareth andeutende Maasswerk- 
blenden, zur ornamentalen Belebung beitragen. An den Seiten der oberen Nischen- 
abtheilung erscheinen auf zierlichen Tragsteinen und unter verästelten Baldachinen 
zwei psallirende Engel. Sie bringen dem Christkind und der Himmelskönigin ein 
Ständchen. Der eine Himmelsbote hält als Sänger ein aufgeschlagenes Buch vor sich 
hin; der andere schlägt die Laute dazu. Neben dem Hauptbaldachin prangen auf 
Wappenschilden der Adler des alten deutschen Reiches und der einen Schlüssel im 
*) Befremdlich erscheint hingegen die Thatsache, dass ernsthaft zu nehmende Schriftsteller der 
Gegenwart keinen Anstand nahmen, ebenfalls die Oelbergkapelle als Bäckerladen zu erklären. Auf 
dem einer modernen Geschichte der Reichsstadt Wimpfen beigegebenen Grundriss der Stadtkirche 
ist der Oelberganbau unbedenklich als »Bäckerladen« eingetragen ; zwei andere neuere Autoren leiten 
die Benennung von den Reliefbildern verschiedenen Gebäckes her, wovon soeben die Rede war. 
Bei aller Anerkennung der Verdienste dieser Schriftsteller, denen wir so manche wirkliche Be- 
lehrung verdanken, sowie in berücksichtigender Erwägung des Horazischen guandoque bonus dor- 
mitat Homerus, wonach auch der Feder des Autors mitunter etwas Menschliches begegnen kann, 
dürfen wir doch nicht unterlassen, die irrige Benennung auf ihren Unwerth zurückzuführen, die 
Oelbergkapelle wieder in ihre Rechte einzusetzen und die vielverbreitete Bäckerladen- Mähr hiermit 
und hoffentlich für immer aus der Welt zu schaffen.
	        
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