EHEMALIGER KREIS WIMPFEN
Sind die Flügel aufgethan (Fig. 26), so tritt dem Beschauer der Haupt-
theil der Figurenplastik des reichen Altarwerkes vor Augen und im Zusammenhang
damit eine architektonisch ornamentale Ausstattung , deren Einzelformen über das
Zeitverhältniss des undatirten Werkes nicht den geringsten Zweifel lassen. Die
dreitheiligen Nischenverzierungen des mittleren Schreines und die Bekrönungen der
beiden Flügeltafeln folgen nämlich ganz und gar dem schrankenlosen spätestgothischen
Vegetativstil, besonders in den überreichen Gestaltungen des Bauwerkes, wie solche
um die Wende des 15. und 16. Jahrhunderts in Uebung standen; ja, die Fülle dieser
Zierformen tritt so charakteristisch für das Ausleben des Stiles auf, dass wir die
Entstehungszeit des Altarwerkes unbedenklich zwischen 1500 und 1520 setzen dürfen.
Der Statuenanordnung entsprechend sind in der Mitte und an den Seiten des Schreines
Konsolen angebracht, aus denen drei eselsrückenartig geschwungene Spitzbögen sich
erheben, in sogen. Frauenschuhbildungen mit Kreuzblumen ausladen und als Figuren-
baldachine sich ausgestalten. Die zwischen den Baldachinen befindlichen eleganten
kleinen Nischen sind ihrer Statuettenzier leider beraubt. — Die in der Dreitheilung
des Schreines stehenden 1,10 m hohen holzplastischen Figuren sind: der h. Quirinus,
die h. Katharina von Alexandrien und die h. Elisabeth. St. Quirinus erscheint in
goldener Plattenrüstung mit spitzen Metallschuhen; der Heilige trägt das Sieges-
banner in der Rechten; die Linke neigt sich herab und macht den Eindruck, als
habe sie auf einem nicht mehr vorhandenen Schwert oder Schild geruht.
Stirne und Schwert nebst Buch in den Händen ;
St. Elisabeth , die Schutzheilige von Hessen
St. Katharina
trägt das königliche Diadem auf der
ihre Gewandung fliesst in vollen Falten.
und Thüringen, ist nicht minder reich gewandet; sie trägt auf der ausgestreckten
linken Hand ein offenes Körbchen; die Rechte hat ihr Attribut eingebüsst. Neben
der wohlthätigen h. Landgräfin gewahrt man eine kleinere Figur, eine Birne in der
Linken tragend und die Rechte zum Empfang einer weiteren Gabe emporhaltend.
Die Gestalt des Ritters St. Quirin tritt mit etwas gezwungener Zierlichkeit auf; die
Figuren der beiden heiligen Frauen hingegen sind von würdevoller Haltung. Der
"altenwurf ist durchaus edel; insbesondere sind die Draperieen der frommen Land-
gräfin von tadelloser Schönheit.
Auf den beiden Flügeln des geöffneten Altarschreines und von goldenen Hinter-
gründen sich abhebend erscheinen als Reliefdarstellungen inmitten landschaftlicher
Scenerieen: einerseits das Martyrium des h. Quirinus, anderseits das Martyrium der
h. Katharina. Die Todespein des glaubenstreuen römischen Tribunen ist eine
naturalistische Schilderung, dergleichen die auch im Grässlichen auf das unmittel-
bare Lebenswirkliche gerichtete Kunstphantasie jener Zeit mit Vorliebe pflegte und
und die dem Volksgeschmack keineswegs entgegen war. St. Quirinus trägt das
blutrothe Hemd des zur Marter Verurtheilten und wird von einem Schergen in dem
Moment fest umklammert, wo ein anderer Peiniger mit der Lostrennung der Hände
und Füsse vom Körper des Heiligen beschäftigt ist. Die Hände liegen bereits ab-
gehauen am Boden als Beute gieriger Hunde. Der linke Fuss des Blutzeugen ist
mit Stricken an einen Pfahl gebunden; der Peiniger hat den Meissel angesetzt und
den Hammer erhoben, um die Verstümmelung des Beines vorzunehmen. Ein gold-
gewandeter bärtiger Mann mit der Kaiserkrone auf dem Haupt (Aurelian?) und eine