Wandgemälde
Jüngstes Gericht
EHEMALIGER KREIS WIMPFEN
Auch in seinen architektonischen Bestandtheilen ist das Grabmal ein befriedi-
gendes Zeugniss für die andauernde Pflege der deutschen Renaissancekunst inmitten
der Bedrängnisse des unheilvollen Bürgerkrieges. Der Betrag von 250 Gulden aber;
welchen der tüchtige Heilbronner Meister für seine achtbare Leistung erhalten, will
nicht nach dem heutigen, sondern nach dem damaligen Geldwerth und überhaupt
nach der Ungunst und Geldnoth jener schweren Zeit gemessen sein.
Das Innere des Langhauses ist mit zahlreicher Wandmalereien geschmückt,
die sämmtlich der Zeit entstammen, wo das Gotteshaus noch im Besitz der Katholiken
war und unter denen das jüngste Gericht die älteste, ansehnlichste und räumlich
grösste dieser Schöpfungen ist.*) Das Gemälde (Fig. 29) zeigt in seiner Vollerschei-
nung, dass auch die spätestmittelaltrige Wandmalerei in Deutschland Bedeutendes
geleistet und es verstanden hat, das kirchliche Gebäude durch die Mitwirkung der
bildenden Kunst, neben seiner Kultusbestimmung zu einem Palast der Armen zu
machen. Es ist das Verdienst des Historien- und Hofmalers Professor August Noack
zu Darmstadt, diesen Kunstschatz, gelegentlich der Erneuerung der Kirche im
Jahre 1869, an der östlichen Hochwand des nördlichen Seitenschiffes unter der ver-
hüllenden Kalktünche kunstfeindlicher Zeiten aufgefunden und wiederhergestellt zu
haben. Es dürfte am Platze sein, der Schilderung des grossartigen Werkes einiges
Allgemeine über die Darstellung des jüngsten Gerichtes vorauszuschicken.
Die persönliche Wiederkehr Christi auf Erden und der daran sich knüpfende
Weltuntergang liegt schon in den Prophezeihungen des Erlösers, dann in den Worten
der Apokalypse angedeutet, wonach das jüngste Gericht nach dem Weltende folge,
wann die Todten wieder auferstehen. Dass die ersten Christen auf den in diesen
Verheissungen angekündigten grossen Tag der Belohnung und der Bestrafung Nach-
druck legten, geht aus einer Stelle Tertullian’s hervor, worin es heisst: >» Ihr liebt
die Schauspiele,; nun denn, erwartet das grosse Schauspiel, das letzte und ewige
Gericht der ganzen Welt.« Gleichwohl gibt es in der ältesten christlichen Kunst
keine Darstellungen des jüngsten Gerichts ;**) vielmehr scheint die antike Kunst, deren
die Christen sich anfänglich bedienten, ihnen in ihren besseren Stadien die Darstellung
des heidnischen Tartarus oder der elysäischen Gefilde an die Hand gegeben zu haben.
Auch später, nachdem die christliche Kunst aus der Umklammerung antiker Ueber-
lieferung sich befreit und auf eigene Füsse gestellt hatte, scheint die Darstellung des
Weltgerichts noch unversucht geblieben zu sein. Erst nach der Karolingerzeit be-
gannen Plastik und Malerei auch die Idee des jüngsten Gerichtes zu verkörpern, theils
in der speziellen kirchlichen Auffassung der »vier letzten Dinge« als Tod, Gericht,
Himmel und Hölle, theils in der mehr allgemeinen Auffassung des Seligkeit oder
Verdammniss bringenden Ereignisses. Immer bildet Christus als Weltrichter den
Mittelpunkt des Vorganges, sowohl auf den mittelaltrigen Darstellungen, wie in
denen der neueren und neuesten Zeit. Wir finden dieses Moment als Aeusserung
des christlichen Glaubens ebenso auf Orcagna’s grossem Werke im Camposanto zu
Pisa, wie auf dem Danziger jüngsten Gericht von Hans Memling, auf Michelangelo’s
*) S, meine Abhandlung »Das jüngste Gericht, Wandgemälde in der Stadtkirche zu Wimpfen
a. B.«, in v. Lützow’s Zeitschrift für bildende Kunst, B. VI, Jahrgang 1871, S. 272 u. ff,
*#) S, Organ für christliche Kunst, 1870 Nr. 1.