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Zwingenberg
Willen und Entfchluß des Grundherrn entfprechende Anlage. Es fpringt fofort in die
Augen, daß der Gefamtplan in zwei annähernd rechteckige Hälften zerfällt, eine öft-
liche, beinahe quadratifche, und eine weftliche, mehr längliche, offenbar die jüngere
und eine Erweiterung der erfteren. In der öftlichen auf dem Berge gelegenen Hälfte
fehen wir die ältefte Befeftigung mit Türmen an den vier Ecken und der Vor- und
Unterburg im Südweften, dem alten „Getwinc“, das den „Paß“ beherrfchte. An der
Südoftecke, an der Stelle des jegigen Speicherkellers, lag „die alte Burg“. Auf dem
Burgberg erbaute Diether III. auch die im Jahre 1258 bewilligte Kirche.
Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, daß die fpätere Erweiterung der alten,
kleinen Befeftigung, die Erbauung des Kagenelnbogenfchen Schloffes, überhaupt die
Erhebung des bisher unbedeutenden Ortes zur Stadt, diefem tatkräftigen, entfchloffenen
und ftaatsklugen Grafen zu verdanken ift. Gerade die Zeit der größten Verwirrung
Deutfchlands während des fogenannten Interregnums wußte Diether III. zu feinem
Vorteil aufs befte auszunugen. Sowohl die Gunft König Wilhelms von Holland wie
die Richards von Kornwallis verftand er in dem Maße zu gewinnen, daß fie ihm bei
feinen Unternehmungen nicht nur nicht hinderlich waren, fondern fogar noch Reichs-
gut als Lehen überließen. So konnte er ungeftört den Bau des Schloffes Rheinfels
beginnen und trog des Widerfpruchs der Städte die Rheinzölle erhöhen, fo erweiterte
er auch Zwingenberg, baute es zur Feftung aus, verfChaffte ihm eine eigene Kirche
und erlangte bald nach dem Regierungsantritt Rudolfs I., deffen Krönung in Aachen
er beiwohnte, von dem König das Marktprivilegium.
Die Anlage der neuen Befeftigung entfprach dem in jener Zeit allgemein üblichen
Syftem. Der Grundriß hat, wie erwähnt, eine rechteckige Geftalt. Die Hauptheer-
firaße, ein Teil der alten Bergftraße, bildet die natürliche Mittelachfe (Obergaffe
oder „alter Paß“). Bei ihrem Eintritt in die Stadt im Süden wird fie durch das Ober-
tor gefperrt, bei ihrem Austritt im Norden durch das Untertor. An fie gliederten fich
die Seitenftraßen wohl rippenförmig an. Aus dem jetigen Plan ift dies allerdings
nicht mehr erkennbar, da diefer die fpätere Straßenanlage nach dem großen Brande
vom Jahre 1693 darftellt, durch den die Stadt faft völlig eingeäfchert wurde. Jeden-
falls fpielte die Untergaffe nur eine untergeordnete Rolle und war, wie ausdrücklich
erwähnt wird, viel [f&hmäler als die Obergaffe. An der Obergaffe, der Hauptftraße,
lag auch das alte Rathaus mit dem Stadtbrunnen und dem alten Marktplag. Diefer
war auffallend klein, muß aber den damaligen Bedürfniffen entfprochen haben, bis im
Anfang des 17. Jahrhunderts der jegige Marktpla& angelegt wurde.
Auf der Weftfeite befand fich im Anfchluß an den Burggraben des Schloffes der
Stadtgraben, der fich ein Stück auch auf der Nordfeite fortfegte. Dort führte eine
Brücke über ihn zum Untertor, wie auf dem Merianfchen Bild noch deutlich erfichtlich
ift (Topographia Haffiae, 1655 S. 150).
Die Stadtmauer, am beften noch auf der Südfeite und einem Teil der Weftfeite an
der Untergaffe erhalten, war etwa 1,70 m ftark und mit Wehrgang und Brüftung ver-
fehen. Der an der Nordoftecke ftehende Turm, die fogenannte Aul, ift noch in der
Geftalt erhalten, die er im 16. Jahrhundert hatte. An der Stelle der jegigen Durch-
fahrt befand fich bis 1818 eine kleine Schlupfpforte. Der Unterbau des füdöftlichen
Turmes ift ebenfalls noch deutlich erkennbar. Von dem alten Katenelnbogenfchen
Schloß ift noch der mächtige Unterbau eines Turmes und ein Teil der Umfaffungs-
mauer erhalten. Von den Toren find nur noch Refte der Fundamente nachzuweifen.
In ihrer Nähe wurde fpäter außerhalb der Stadtmauer je ein Wachthaus errichtet,
deren eines, das füdliche, ein Gefängnis, die Begenftube, enthielt.