Full text: Der Dom zu Mainz (B, [2], Band 2, Teil 1)

136 Baubefchreibung: Das Innere des Domes, Entftehungszeit des Weftbaus 
Hörnerkapitelle, das gelappte und gebuckelte Blattwerk), find ferner die feinen, tief 
unterfChnittenen Profile bezeichnend, man beachte auch das ftehende, leicht nach 
vorn heraus und dann fcharf zurück einwärts gefchwungene Profil vorn rechts 
neben der freiftehenden Säule auf Abb. 65, das dann ebenfo an der inneren Pforte 
des füdlichen Durchgangs (Abb. 66 c) wiederkehrt. Die Mündungen des nördlichen 
Durchgangs verraten die Gotik fchon durch die Spit;bogen. Aber auch die Profilierung 
der Gewände (Abb. 66 a und b) und das fthöne Laubwerk der einen Pforte find 
vollkommen gotifch. 
Vetterlein hat die Bemerkungen Schneiders weiter ausgeführt und insbefondere 
das Portal im füdlichen Querhausflügel der Trierer Baufchule zugewiefen. Die Archi- 
tektur des nördlichen Durchgangs fCheint ihm konfequenter gotifch und franzöfifch. 
Man kann diefen Ausführungen im allgemeinen zuftimmen. Nur braucht nicht not- 
wendig ein Steinmegmeifter aus Trier herüber gekommen zu fein, jenes Südportal zu 
arbeiten. Die Verwandtfchaft ift im einzelnen fchließlich doch nicht zwingend. Es ge- 
nügt die Annahme, daß man hier wie dort von den gleichen franzöfifchen Muftern 
(insbefondere Reims) herkam. Aber der Hinweis auf Trier ift der Chronologie wegen 
wichtig. Es ift nicht nötig, diefe Arbeiten für jünger zu halten als die Liebfrauenkirche 
dort. Oder mit anderen Worten: fie können fehr wohl noch vor 1239 (der Domweihe) 
ausgeführt fein. Ich glaube alfo (wie Vetterlein) an zwei verfchiedene Hände, oder, 
wie Dehio fich ausdrückt,!) an einen von vorzüglichen Arbeitskräften begleiteten 
Meifter, dem diefe neumodifchen Veränderungen zuzuweifen wären. 
Vetterlein glaubt nun weiter in dem Schmuck der großen Aufzugsöffnung (im legten 
öftlichen Joch des Mittelfchiffs f. oben S. 116 f.) diefelbe Art wiederzuerkennen, wie an 
dem mit Laub gefchmückten Portal am nördlichen Durchgang zum Weftchor (Tafel 30 b). 
Das leuchtet mir nicht ein. Vielmehr hat das rundlappige, teils gebuckelte, teils flach 
löffelartig gehöhlte Blattwerk am Rahmen der Aufzugsöffnung eher eine gewiffe Ver- 
wandtfchaft mit dem Laub an dem Portal im füdlichen Querhausarm.?) Darin aber 
fiimme ich wieder mit Vetterlein und Schneider überein: die genannte Aufzugsöffnung 
ift ein gotifches Werk, vom Stil des Weftbaus durchaus verfchieden. 
Ich kann mir nun nicht denken, daß der Erzbifchof den Dom in Gegenwart des 
Königs und unter dem Beiftand nahezu aller feiner Suffraganbifchöfe 1239 feierlichft 
eingeweiht hätte, wenn der Bau damals nicht wenigftens innen fertig und von Gerüften 
frei war. Das heißt alfo: auch von diefer Seite kommen wir dahin, die Tätigkeit jener 
franzöfifch gefchulten Kräfte in die legten Jahre vor 1239 zu verlegen. 
Betrachten wir das als einen feften Ausgangspunkt für die Chronologie der ganzen 
Bauunternehmung diefer Zeit, fo würde fich weiter rückwärts ergeben: zur felben 
Zeit oder wenig früher wird von anderen Kräften der Vierungsturm ausgebaut und 
das Mittelfchiff im Langhaus eingewölbt. Hier fanden wir überall einen Bruch mit den 
älteren Bauabfichten. In der Vierung geht man fchon bei den vier Hauptbogen zum 
Spigbogen über, gibt den urfprünglichen Plan auf und vollendet das Ganze in einer 
[pigbogigen Kuppel. Im Langhaus führt man die Schildbogen fpit aus und wölbt in 
fehr entwickelten Formen mit konfequenter Verwertung des Spitbogens, der Rippe 
und des Schlußfteines. Die Formen aber halten fich überall im Charakter deffen, was 
fonft im Weftbau üblich ift. Das wäre alfo eine zweite Periode. Ihrem Anfang ge- 
hört wohl auch die Einwölbung der Querhausarme und des Chorquadrates an. 
!) Im Handbuch Südweftdeutfchland S. 229. 
?2) Noch näher fteht es einigen anderen Arbeiten im Dom, nämlich den Reften des einftigen 
Weftlettners. Darüber fiehe unten. 
   
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
     
  
  
  
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