Full text: Der Dom zu Mainz (B, [2], Band 2, Teil 1)

   
  
  
einftigen 
;ftab 1:50 
  
Baubefchreibung, die Einbauten: Weftchorlettner 149 
Spindel einmünden, je ein großes, derbes, gebuckeltes Blatt. Vielfach bemerkt man 
die breiten Löcher, die zum Verfeten mittels des Wolfes gedient haben. Im ganzen 
Aufbau, wie in diefen Einzelheiten, kommen die Treppen den Lettnerftiegen im 
Weftchor des Domes zu Naumburg fehr nahe.!) Das führt fofort auf die Vermutung, 
der Weltenrichter des Dom-Oftportals (f. oben S. 46 f.), der ja ebenfalls an die Naum- 
burger Lettnerplaftik erinnert, könnte mit diefen Wendeltreppen zufammengehören. 
Aber weiter: der Weltenrichter fordert eine Darftellung des jüngften Gerichts. Auch 
von ihr find Refte noch erhalten. Es find die beiden, heute falfch zufammengefegten 
und mit einer modern-gotifchen Umrahmung verfehenen Tafeln im Kreuzgang des 
Domes mit den Zügen der Seligen und Verdammten (Tafel 33).2) 
Diefe Reliefs ftammen aus dem „Garten“ der Kapuziner °) und follen dahin von 
St. Alban gelangt fein, wie aufs beftimmtefte (z. B. von Schaab) verfichert wird. 
Dennoch ift dies höchft unwahrfcheinlich, denn f&hon 1779 kannte man auch eine andere 
Tradition, daß nämlich die Reliefs aus dem Kreuzgang von Liebfrauen in den Kapu- 
zinergarten gekommen feien.‘) Diefer Tradition folgte auch Falk, der als Quelle Dürr 
1) Vgl. unfere Abb. 75 mit der Photographie Stödtner 28 448. Selbft die dicken Blätter an 
den Unterfeiten der Stufen kehren in Naumburg wieder. Nur die Anordnung der Zugänge 
ift etwas anders, und in Naumburg öffnen fich die Treppen in zwei Galerien übereinander. 
2) Wie noch die lange lateinifche Unterfchrift unter dem Relief angibt, fah man früher 
in der Darftellung die Befreiung der Mainzer Bürger und Kleriker von Acht und Bann durch 
den Erzbifchof und den König. Diefe Deutung läßt fich bis ins 18. Jahrhundert zurückver- 
folgen. Am ausführlichften fuchte fie gefchichtlich zu begründen Hennes (Ein Monument 
im Kreuzgang des Mainzer Doms. Period. Blätter der Gefchichts- und Altertumsvereine 
zu Kaffel ufw. 1854, 1S.21). Daß die Deutung gleichwohl unhaltbar ift, hat offenbar [chon 
Schneider richtig erkannt. Denn auf ihn geht doch wohl die zutreffende Unterfchrift der 
Kroftfchen Photographie zurück. W. Vöge (Situngsberichte der Berliner Kunftgefchichtl. 
Gefellfchaft 1905. V.S.30f.) hat dann, foviel ich fehe, zuerft die Seligen und Verdammten 
mit dem Weltenrichter des Südoftportals zufammengeftellt und auf die Verwandtfchaft des 
Stils mit dem des Naumburger Lettners hingewiefen. Von den Treppentürmen f[pricht er 
nicht. Alfr. Stix (Die Plaftik der frühgot. Periode in Mainz. Kunftgefch. Jahrb. der K.R. 
Zentralkommiffion 1909. S. 115 ff.), widmet dem Relief eine ausführliche und forgfältige Be- 
trachtung und verfucht auch den Lettner nach dem Mufter des Naumburgers ungefähr zu 
rekonftruieren. Aber Stix glaubt diefen Lettner für St. Alban in Anfpruch nehmen zu müjfen; 
die Treppentürme kennt auch er nicht. Ich felbft habe fchon 1907 gelegentlich eines Vor- 
trags vor dem Kunfthiftorifchen Kongreß in Darmftadt auf die Treppentürme hingewiefen 
und damit das Ganze für den Mainzer Dom in Anfpruch genommen. Man vergegenwärtige 
fich, wie verwickelt fich der Sachverhalt geftalten müßte, wollten wir etwas anderes an- 
nehmen. Wie fchon oben S. 135f. gezeigt wurde, hat ein Meifter diefes (fagen wir kurz „Naum- 
burger“) Stils um 1235 im Dom gearbeitet. Ihm gehören auch die Treppentürme, alfo der 
einftige Lettner des Weftchors an. Diefem Lettner müffen wir nun, das ift doch die nächft- 
liegende Annahme, auch den Chriftus zwifchen Maria und Johannes, jest im Südoftportal, 
zurechnen. Will man die Seligen und Verdammten von diefen Stücken trennen, fo muß 
man an das einftige Vorhandenfein eines zweiten ganz ähnlichen Lettners in Liebfrauen 
oder St. Alban glauben. Das ift nicht unmöglich, aber fehr unwahrfcheinlich. Bis auf 
weiteres halte ich an der Zufammengehörigkeit aller Stücke und daran feft, daß fie Teile 
des ehemaligen Weftlettners im Dom find. Außer den genannten Forfchern hat fich auch 
Fr. Back (Mittelrheinifche Kunft 1910) kurz mit den Reliefs befchäftigt (S. 14). 
3) Schaab II S.9 ff. 
4) J. P. Pellens, De probatione per picturas. Mainzer Differtation von 1779. Da heißt es 
S.27: In Perjstilio hujatis Ecclesiae B. V. ad Gradus extabat quondam monumentum ana- 
glyphum, ubi reconciliatio excommunicatorum dubio procul civicum mogonorum ab Episcopo 
facta repraesentabatur. Quia autem poenitentes acutis induti erant Caputiis, sic occasione 
controversiae ob Caputia enatae inter Ordines S. Francisci monumentum illud P. P. Capu- 
cinis ad preces eorum cessit, et translatum est in eorum hortum ubi adhuc extat. 
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