Ausftattung, Altäre: St. Bonifatius (jest Muttergottes) 201
Jahre 1875), aber er birgt drei alte Figuren, und zwar befonders wertvolle, eine Maria
(1,34 m hoch) und zwei heilige Bifchöfe (je etwa 1,35 m hoch).!) Die Figuren find aus
Lindenholz, im ganzen recht gut erhalten, haben aber eine völlig neue Staffierung
über fich ergehen laffen müffen (Tafel 39b nach Photographie Kroft).
Der Stil der Figuren ift nicht ganz einfach zu beftimmen. Chr. Rauch findet,°) die
Figuren ftehen Backoffen „fehr nahe“. Zurückhaltender urteilt Dehio:”) „fichtlich hat
Backoffen tiefen Eindruck auf den Künftler gemacht, wenn auch die Grundlage feiner
Kunft eine andere ift“. Ich glaube, je länger man fich mit den Figuren befaßt, um [fo
mehr tritt die Erinnerung an Backoffen zurück. Betrachtet man die Köpfe, fo wird man
bald gewahr, daß fich hier mehr zeichnerifches Wefen erhalten hat, während Backoffen
die ineinandergleitenden Flächen weich verbindet. So kommt es auch, daß in Back-
offens Gefichtern das Animalifche ftärker fpricht, das Fleifch. Sodann fieht man
bald, daß Backoffen feine Figuren ficherer ftellt und weniger künftlich renkt als
der Meifter unferer drei Figuren, z. B. die Bifchöfe. Und endlich zeigt auch das Ge-
wand einen ganz anderen Stil: bei Backoffen herrfcht zunächft die Fläche, die er mit
[chmalen Faltengraten und kurzen zuckenden Brüchen überfährt. Dann werden wohl
(z. B. am Denkmal des Uriel von Gemmingen) feine Faltenbäufche voller, aber an
ihren Kanten und auf ihren Höhen vervielfacht fich noch das Spiel gekräufelter oder
zuckender Linien. Die Gewänder unferer drei Figuren haben weder das eine noch
das andere. Der Gegenfat glatter, am Körper anliegender Gewandflächen und ganzer
Nefter tiefgeknitterten Gewands ift hier ausgefprochener. Dann find die Faltenbäufche
weiter herausgezogen, die Täler dazwifchen tiefer; ferner ift die Form der Faltenbäufche
mannigfaltiger: neben gleichmäßig breiten Stegen finden fich häufiger Gebilde von
ganz anderer Art. Schließlich find die ganzen Syfteme anders als an Backoffens Figuren.
Kurz, mir fCheint, was an Ähnlichkeiten bleibt, ift fo wenig und fo wenig Befonderes,
daß man fich die Entftehung unferer Figuren am Ende unabhängig von Backoffen
denken kann. Unter diefer Vorausfegung wird verftändlich, daß fie, obwohl aus der Zeit
Backoffens, doch in manchen Stücken altertümlicher wirken als die Werke des großen
Mainzers. Auf alle Fälle aber find es Arbeiten, die fehr beträchtlich über dem Durch-
[&hnitt ftehen. Ganz befonders hat die Fülle und königliche Würde der Maria (im
Profil noch vollkommener!) nicht fo bald wieder ihresgleichen.
Die Figuren mögen alter Mainzer Befit fein: der heilige Martinus auf der Mitra
des Bifthofs rechts macht das wahrfcheinlich. Und der Kopf des Chriftkinds hat
in Mainz allerlei Verwandte. Dem hohen Chor (Weftchor) des Domes freilich, aus dem
fie Dekan Werner hierher verfette, werden fie f&hwerlich feit alters angehört haben.
Wenigftens erwähnt fie Bourdon dort nicht, und man kann auch fragen, ob fie dem
allgemeinen Untergang der Holzteile im Dom (1801, 1813!) entgangen wären, wenn
fie fich vor 1793 dort befunden hätten. Vielleicht find die Figuren gar erft nach 1814
in den Dom gekommen, woher wiffen wir nicht.
Ich will fchließlich nicht verfehlen, darauf hinzuweifen, daß Paul Kaupßfch?) eben-
falls die Verwandtfchaft der Figuren mit den Werken der Backoffengruppe beftritten
hat. Er denkt an einen f&hwäbiftchen Meifter. Bei dem ftarken Mangel an Vergleichs-
) Photographien Kroft und Völker, auch Einzelheiten.
®) Kalender Heffenkunft 1911. S.6 ff. Aufden fonftigen Inhalt des Auffages will ich nicht
eingehen. Auch daß unfere Figuren in der Oberflächenbehandlung in einem „unleugbaren
Zufammenhang“ mit den Skulpturen des „Ifenheimer Altars“ ftehen (Heffenkunft 1910. S.9 ff.),
muß ich auf fich beruhen laffen. °) Handbuch d. deutfchen Kunftdenkmäler IV. 1911. S. 235.
') Hans Backoffen und feine Schule. Leipzig 1911. S.76 Anm.1.