Saulheimer
Altar
(Jungfrau
Maria)
216 Ausftattung, Altäre: Saulheimer Altar
[önlich. Die Köpfe haben bei allem Streben nach Charakteriftik etwas eklektifch-allge-
meines. Das Gewand zeigt weniger erhabene Faltenftege und tiefe Faltenbuchten als ge-
brochene Flächen, die fcharfgratig zufammenftoßen. Brüche, Faltenftufen und Falten-
tiefen haben etwas Prismatifches. Hier und da findet fich jene knitterige Zellenbildung:
die Behandlung ift dann ähnlich dem Gewandftil des Hauptmeifters am Baffenheimer
Altar (Kapelle IV, S. 197). Aber fonft befteht keine Verwandtfchaft. Wir werden wohl
einen neuen, kurz gefagt, etwas temperamentlofen Meifteranzunehmenhaben. Dagegen
hatte fich feine Werkftatt noch nicht ganz von den Traditionen jenes Dekorationsftils,
den wir zuerft am Naffauer Altar gefunden haben, befreit. Schon in dem Hauptrelief
erinnern einzelne mehr dekorative Figuren (wieder befonders die Engel oben!) an
jenen Stil. Und mehr noch verraten die vier Cherubköpfe in Alabafter und Tuff unten
ihre Herkunft aus jener Schulung. Auch der Auffa oben widerfpricht diefer Annahme
nicht. Dabei ift aber zu betonen, daß die Arbeit hier entfchieden frifcher wirkt. Nicht
nur hat das Ganze ein bewegtes, malerifch reiches Leben; auch die Einzelheiten,
auch die figürlicher Teile find von einer neuen Fülle und Kraft, die fie von den
Dekorationen des Naffauer und des Baffenheimer Altares merklich unterfcheidet.
Die Dekoration im engeren Sinne ift hier entfChiedener als an dem (jüngeren!)
Baffenheimer Altar auf dem Weg zu dem neuen Stil des 17. Jahrhunderts. Dort ift
[owohl der Aufbau wie die Einzelbildung noch fChlanker und dünner, mehrgliedrig und
feingliedriger.!) Man vergleiche die Hauptfäulen, das Gebälk, Hauptgefims und Aüf-
[ag hier und dort miteinander. Hier, am Scharfenftein-Altar, ift alles um einen Grad
[ehwerer und voller. Dazu ftimmt, was wir über den Stil der figürlichen Dekoration
zu fagen hatten, recht gut: dort das Ende einer älteren Art (das des Naffauer Altars),
hier eine neue, frifche, faftigere. Und fo vermögen wir endlich auch in der eigent-
lichen Dekoration hier leichter die neuen Elemente zu erkennen als dort: die kom-
pakteren Voluten, Ohren und Schwünge am Auffat, die teigartig verdickten Endungen
[chon am Akanthus unten an den Konfolen, dann an den Zwickelornamenten oberhalb
der Mufthelnifchen, an den Engelflügeln oben an den Seitenwangen des Auffates, am
Fußornament des Wappens (hier fehen fie fhon ganz barock aus).?)
Mit diefem Gefamtcharakter des Altares kann ich nun weder die knieenden Prälaten
noch die figenden Apoftelfürften in Einklang bringen: fie fehen altertümlicher aus.
Und zwar jene im Sinn desälteren „feinen“ Stils, diefe im Sinn des älteren „antikiföhen“
Stils (d. h. des Stils, dem der Petrus des Baffenheimer Altares und noch weiter zurück
die dekorativen Figuren des Denkmals Nr. 26 angehören). Ich habe aber oben (S. 183)
die Vermutung geäußert, die knieende Figur links könnte der Domherr Heinrich von
Naffau fein und dem Naffauer Altar angehört haben. Zu diefer Annahme würde der
Stil recht gut paffen. Wenn das Betpult zu dem Knieenden rechts gehört, fo ift diefe
Figur ein wenig jünger: die Ornamentik des Pults weift etwa auf die Zeit um 1610.
Sie ftammt dann von irgendeinem der verfchwundenen Altäre oder von einem Denk-
mal. Wohin die thronenden Apoftelfürften urfprünglich gehörten, wiffen wir nicht.
Der Altar der KapelleXVI(Jungfrau Maria) ift der einzige von allen den
Holzaltären des Domes, der an feinem urfprünglichen Plate geblieben ift und fich in
feinem Aufbau wenigftens ziemlich unverändert erhalten hat.?) Der Mainzer Dompropft
Adolf Hund von Saulheim ließ ihn im Jahre 1665(?) errichten und weihte ihn der Jung-
') Das kann freilich nur mit den Vorbehalten gefagt werden, zu denen der fragwürdige
Zuftand des Altares nötigt.
?) Man vergleiche mit alledem noch einmal den Stil des Altares der Viktorkapelle (I): er ift
in gerader Linie weiterentwickelt. ') Bourdon S. 67; Gudenus II S. 813.