260 Denkmäler: Kurfürft Berthold von Henneberg
neuen Meifters: das ift eben Hans Backoffen, der von RiemenfChneider herkommt.
Die Neigung zu malerifcher Breite, er bringt fie von dort mit.!)
Daß die Gewandbehandlung fich ebenfalls aus dem Stil RiemenfChneiders ableiten
läßt, ift nachgewiefen worden. Andererfeits, wie viel runder, weicher, lebendiger fie
ift, wie das kraufe Spiel der Augen und Knicke, die Wellenlinie an Faltenrücken und
Säumen, die Riemenfthneider fo nicht kennt, fchon hier einfegt, das hat befonders
Paul Kaußfch ausführlich gezeigt. Ich möchte demgegenüber wieder darauf hinweifen,
wie viel näher — trot diefen unleugbaren Unterf£hieden — doch der Gewandftil des
Hennebergdenkmals dem der Grabmäler RiemenfChneiders fteht als dem der älteren
Mainzer Werke. Auch in Mainz bereitete fich das Neue vor. Hier aber ift es mit
einem Male vollkommen da: Flächen, auf denen die Gewandfalten ihr Spiel treiben;
dazu ganz unmotivierte Bewegung in einzelnen Gewandteilen (hier in dem Tuch, das
vom Bifchofftab herabwallt), dergleichen in Mainz noch nicht erhört war. Schließlich
das gekräufelte Wefen, die fahrigen, zuckenden Linien, Lichter und Schatten neben
breiten Flächen. Wie anders die ruhigen großen, im einzelnen logifchen Faltenzüge
eines Adalbert! Es ift eine neue, nun gewollt irrationale Steigerung des malerifChen
Vortrags. Nicht der Körper und feine Bewegung beftimmt den Lauf der Falten; diefe
erkennen kaum ein anderes Gefet mehr an als das der maleriföhen Wirkung.
Dasfelbe irrationale Wefen finden wir in der Dekoration wieder: es ift kaum mehr
möglich, den Aufbau des Baldachins zu analyfieren. In den wilden Taumel der tekto-
nifchen Kurven fChlingen fich volle Naturformen: wie ein unentwirrbares Dornen-
geftrüpp flechten fich die Bogen und Äfte ineinander. Seltfam kontraftieren mit diefen
Formen die nackten Engelbuben und die fChöne Renaiffancefthrift unten.
Das Überrafchendfte bleibt der Kopf. Freilich, er ift in der fein geföhwungenen
Geftalt wundervoll vorbereitet. Aber diefe Vereinigung ftarker Leiblichkeit und feiner,
ein ganz wenig fhmerzlicher Milde, die geiftige Größe, die Hoheit in Augen und
Mund — das ift doch etwas ganz Außerordentliches. Wie weit bleiben da die Köpfe
des 15. Jahrhunderts zurück, felbft der eines Adalbert! Hier ift eine neue Vitalität.
Schneider glaubte, wie er mir noch mündlich verfichert hat, annehmen zu dürfen,
daß der Künftler diefes wundervolle Stück mit Hilfe einer Maske, die von dem Toten
genommen worden wäre, zuftande gebracht habe, und erinnerte an die, wohl von
Italien aus, in Frankreich und Burgund eingebürgerte Sitte der Zeit, das Antlit ver-
ftorbener Fürften für das Grabdenkmal abzuformen.?) Ohne beftimmte gef&hichtliche
Nachricht ift hier nichts zu fagen. Jedenfalls ift der Kopf unferes Denkmals keine
irgend genaue Kopie einer Totenmaske.
Zum erftenmal hat der Erzbifchof hier neben dem Krummftab den Kreuzftab im Arm.
Man beachte die feine Ausführung auch diefer Ausftattungsftücke. Die Krümmen
freilich find fämtlich und zwar nach einer Schablone und gewiß nicht richtig erneuert:
das Renaiffancemufter, das fie zeigen, tritt etwa zwanzig Jahre zu früh auf. Die Neben-
figuren St. Martin (oben links), Bartholomäus (unten links), Bonifatius (oben rechts)
und Jakobus der Ältere (unten rechts) zeigen durchaus den Stil der Hauptfigur.
Vergegenwärtigt man fich noch einmal das Ganze, fo wird man fagen: fo treu fich
auch der Künftler an den herkömmlichen Typus der Mainzer Fürftendenkmäler an-
1) Für die Plaftik! Von Haus aus ift Backoffen plaftifcher als Riemenfchneider und, in Mainz
auf fich felbft geftellt, wird er es von Werk zu Werk noch mehr. Aber zunächft bei feinem
Eintritt in die Mainzer Plaftik fcheidet ihn das Riemenfchneiderfche Wefen von der dortigen
Überlieferung.
2) Louis Courajod, Quelques monuments de la sculpture fun&raire. Bull. de la Soc. nat. des
Antiquaires de France. 1882. R. de Maulde La Clavitre, Jean Perr&al. Paris 1896. S. 52 f.